Seit dem Wahlsonntag ist die Innenpolitik ein Pokertisch, und Herbert Kickl, der Wahlsieger, hat gleich einmal alle Chips mit kühler Miene und feinem Zwirn in die Tischmitte geschoben. Er spielt All-in. In einer öffentlichen Erklärung gab er zu verstehen, dass er nur als Kanzler an einer Regierung mitwirken werde. Sollten sich ihm die anderen verweigern, sei das ein Schlag ins Gesicht der Wähler. Das ist natürlich eine sehr verwegene Schlussfolgerung. Sie ist so verwegen wie die gegenteilige Logik, wonach ein Kanzler Kickl ein Schlag ins Gesicht all derer sei, die ihn nicht gewählt haben. So lässt sich die Komplexität, die der Wähler hinterlassen hat, nicht eindampfen.
Ein Wahlsieg ist dann vollzogen und in der machtpolitischen Übersetzung komplett, wenn es dem Stimmenstärksten gelingt, aus der relativen Mehrheit mithilfe eines Bündnispartners eine absolute zu schmieden und das Einverständnis des Bundespräsidenten zu gewinnen. Das ist die Aufgabenstellung eines jeden Siegers, der unter der Absoluten bleibt. Totalitär argumentieren kann man mit einem knappen Drittel der Wählerschaft nun einmal nicht.
Ohne ein Mindestmaß an Bündnis- und Beziehungsfähigkeit bleibt ein Wahlsieger einsam zurück. Er scheitert dann an der zweiten Hürde, an sich selbst. Vor dieser Klippe steht Herbert Kickl. Er hat einen tiefen Graben zwischen sich und den anderen gezogen, zwischen sich und dem „System“, dem die FPÖ auf den unterschiedlichsten Ebenen seit Ewigkeiten angehört. Die FPÖ ist, gut integriert und gut dotiert, längst Teil des Systems Österreich.
Der Graben war Kickls demagogischer Segen, jetzt ist er sein realpolitischer Fluch. Wer die anderen derart schmäht wie es Kickl getan hat, kann nicht erzürnt aufschreien, wenn die, die er zur „Fahndung“ freigab, davor zurückweichen, ihm den Schlüssel zu reichen, um das Land anzuführen. Und er kann auch vom Staatsoberhaupt, noch eben als „Mumie“ verhöhnt, nicht plötzlich Zugewandtheit erhoffen. Man muss Gesagtes nicht mit der Goldwaage wägen, aber solche Zivilisationsbrüche lassen sich mit einem Wechsel der Anzugfarbe und des Tonfalls nicht ungeschehen machen, nicht im Leben und nicht in der Politik. Im Wissen darum spielt Kickl alles oder nichts. Auf dem Fundament des drohenden Scheiterns baut er die nächste Opfer-Story. Er hat Zeit.
Die wahrscheinliche Alternative einer schwarz-rot-pinken Allianz gibt Kickl alle Möglichkeiten, aus dem Vollen zu schöpfen. Der Falle entgehen kann ein solches Bündnis nur, wenn es mit allen schlechten Sitten der Macht- und Parteilogik radikal bricht. Wenn ohne Tabus festgelegt wird, was zu tun ist, vom defekten Asylsystem über den verschleierten Schuldenberg bis zu den vernachlässigten Schulen; und wer ungeachtet parteiinterner Rücksichtnahmen die fähigsten Köpfe sind, die den schweren Aufgaben gewachsen sind. Das Beste aus allen Welten, auch der des Wahlsiegers: Es ist die letzte Option der Unterlegenen. Auch ein All in. Wenn sie dazu fähig sind.