Gestern Abend in Wien, bei der Übergabe des goldenen Posthorns von Georg Pölzl auf Walter Oblin. „Wir sind vorbereitet“, sagt in den hinteren Reihen ein hochrangiger Würdenträger der SPÖ beim Griff in die Schnitzelbällchen. Der kryptische Satz hieß übersetzt so viel wie: Die SPÖ werde sich, wenn sich die desolaten Umfragewerte und ein abgeschlagener dritter Platz bewahrheiten sollten, noch am späten Wahlabend, einem Regieplan folgend, häuten und eine andere Partei aus sich hervorkehren: eine, die anschluss- und breitefähig ist, das Juso-Korsett abstreift und gegen ein wirtschaftsfreundlicheres eintauscht, mit neuen, bürgerlich aromatisierten Schlüsselspielern für die Verhandlungen (Bures, Hanke, Muchitsch, Kern), abgeschliffenen Forderungen wie Arbeitszeit und Upper Class-Steuern sowie klaren Avancen an die ÖVP.

Nichts fürchtet die Sozialdemokratie für ihren Selbstwert mehr als fünf weitere trost- und perspektivenlose Jahre auf der Oppositionsbank. Es ist ein Mythos, dass das ein Ort der Genesung und der Rekonvaleszenz ist.

Die ÖVP, so sie auf den letzten Metern tatsächlich zu Herbert Kickl aufschließt, befände sich in einer komfortablen Lage. Sie könnte sich den großen Partner aussuchen und den kleinen, sofern sie diesen benötigt. Atmosphärische Mehrheit für ein Bündnis mit der FPÖ gibt es in der Volkspartei keine, beteuern alle, die dort eine gewichtige Stimme haben. Nur wenn die SPÖ am Babler-Kurs festhalte, könnte die Neigungsgruppe Blau innerhalb des Industrie- und Wirtschaftsflügels der ÖVP an Gewicht gewinnen und einen Stimmungsumschwung einleiten, heißt es in VP-Kreisen. Das wirtschaftsliberale Programm Kickls, eine listige Raubkopie, hat in IV-Milieus Eindruck gemacht.

Auf Länderebene gebe es dennoch stimmungsmäßig eine klare Mehrheit für ein Reformprojekt mit den Sozialdemokraten, versichern VP-Granden, und zwar selbst dort, wo man aus freien Stücken mit der FPÖ regiere. Für die ÖVP hätte die großkoalitionäre Variante ein hohes Lustpotential, käme sie doch einer Umkehr der alten Verhältnisse gleich. Bis weit zurück in die Sechziger war die Partei jahrzehntelang der unglückliche Juniorpartner an der Seite einer dominanten roten Kanzlerpartei. Die letzten großkoalitionären VP-Regenten waren Alfons Gorbach und danach für kurze Zeit Josef Klaus. Der rote Vize unter beiden: Bruno Pittermann.

Oral history, die gestern in den hinteren Reihen aufblühte, während draußen auf der gelben Bühne der neue Post-General ins Posthorn blies.

Herzlich,
 
Hubert Patterer
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