Nur noch einmal schlafen. Dann steht sie also vor mir, die zweitgeborene Erstklässlerin, mit ihrem Rucksack, halb so hoch wie das ganze Kind. Während das mütterliche Gefühlskino die letzten sechs Jahre in Oscarreife zum Besten gibt und mich gnadenlos ins Tal der Tränen entlässt, wird die Hauptdarstellerin wohl nur interessieren, welche Pretiosen ihre Schultüte verbirgt. War man einst noch mit dreierlei Gummizeug glücklich, erwartet der Nachwuchs unter den Süßigkeiten heutzutage ja zumindest ein iPhone oder den Schlüssel zum ersten Kleinwagen zu finden.
Auch wenn sich mein Kind mit der Erweiterung seiner Einhorn-Enklave begnügen muss, wird es hoffentlich nicht mieselsüchtig zur Schule stapfen. Schließlich ist der erste Tag ein spannendes Roulette: Fällt die Kugel auf ein stattliches Trauma oder eine neue Freundschaft fürs Leben? Kommt sie beim Streber, Mitläufer oder dem Klassenclown zu liegen? Wird die Kleine spielerisch lernen oder nur spielen, nicht lernen? Die Gesetzmäßigkeiten des Kindergartens sind obsolet, alle Rollen werden neu verhandelt.
Weil sie wissen, dass es jetzt ans Eingemachte geht, dürften einige Protagonisten zur Höchstform auflaufen. Fix dabei sind zumindest zwei Kinder, deren Protest die örtliche Hochwasserwarnung aktiviert und jene Eltern, die sich entrüstet darüber zeigen, das Klassenzimmer schon nach der viertelstündigen Vorstellrunde verlassen zu müssen – offenbar erwarten sich viele Erziehungsberechtigte, an diesem Tag endlich auch einmal unterrichtet zu werden.
Doch ihre Zeit wird kommen, denn der erste Elternabend dräut. Auf winzigen Stühlchen kauernd, dürfte dann in manchem die Erkenntnis reifen, dass es doch auch blöde Fragen gibt. „MÜSSEN es unbedingt die Jolly-Wasserfarben sein?“, steht in meiner persönlichen Hitliste so weit oben wie das alljährliche Impulsreferat über die toxischen Inhaltsstoffe von Reiswaffeln. Ein Segen, wenn sich der Kriegsrat endlich auflöst und ins elektronische Klassenzimmer verlagert, wo sie in der unvermeidbaren Eltern-Whatsapp-Gruppe bloß zweimal täglich nach den Hausaufgaben fragen.
Den ersten Teil der Übung haben meine Tochter und ich jedenfalls mit Bravour erledigt: Die Shopping City wurde durchpflügt, wir ergatterten das Überlebensnotwendige, vom Gummistiefel bis zu den handgeschnitzten Borstenpinseln Größe 36-270. In stundenlanger Kleinarbeit wurde alles beklebt, beschriftet oder für die Ewigkeit tätowiert. Der akribischen Vorbereitung zum Trotz wird uns auch diesmal ein Trumm namens „Ich weiß nicht, wie es heißt, aber ALLE hatten das!“ im Werkkoffer des Grauens fehlen. Aber allein dafür, dass sich die Schule zentral um die Besorgung von Büchern und Heften kümmert und man nicht mehr wie anno dazumal Klebefolien unter Verfluchung von Luftbläschen und sämtlichen Anwesenden über die Umschläge fitzeln muss, könnte ich einmal bis nach Mariazell pilgern.