Die Angebote zur Kinderbetreuung sind schlecht ausgebaut. Die deutlich gestiegenen Mieten bereiten ihr Sorgen. Sie fühlt sich unsicher, wenn sie auf dem Heimweg von der Arbeit ist. Gruppen von Männern, die mit Gewalt ganze Stadtteile für sich reklamieren, unterstreichen, dass Zuwanderung und Integration schon länger nicht mehr einhergehen. Wenn die Bekannte, die nach mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland in wenigen Wochen nach Österreich zurückkehren wird, über ihre Beweggründe spricht, sind das nicht nur zutiefst individuelle – sie sind in gewisser Weise auch Sinnbild für die Themen, die Deutschland derzeit generell beschäftigen, prägen und für große Unzufriedenheit sorgen.

„Wir schaffen das“ als historischer Irrtum

Und so kommt man auch bei den Analysen der Ergebnisse der Landtagswahlen in den deutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen bald zu diesen Themen, zu denen sich Zukunftsängste, Frust über etablierte Politik, marode Infrastruktur und Abwanderung junger Menschen gesellen. Von Bundeskanzlerin Angela Merkels historischer Fehleinschätzung „Wir schaffen das!“ aus dem August 2015 bis zum Wahlsieg der rechten AfD in Thüringen, die dort am Sonntag erstmals in einem Bundesland auf Platz eins landete, dauerte es nur neun Jahre.

Erst 2013 war die „Alternative für Deutschland“ überhaupt gegründet worden, jetzt kam sie in Thüringen auf mehr als 30 Prozent. Und das bei hoher Wahlbeteiligung von fast 75 Prozent. Gelungen ist das ganz ohne eloquente Menschenfänger der Marke Jörg Haider an der Spitze. „Sie hat ihren rechtsextremen Charakter mit einem Kümmerer-Image überdeckt“, sieht der Politberater Johannes Hillje als einen Grund für das politische Beben im geografischen Zentrum Deutschlands. Der AfD gelang es offenbar zu vermitteln, dass sie in der Lage sei, die vielen Herausforderungen in der Gesellschaft anzugehen. Dass sie dabei Grundprinzipien der Demokratie und liberale Werte in Frage stellt, ist bedenklich, wird aber von einem Drittel der Wähler geduldet.

Die Regierungsbildung wird in beiden Bundesländern ein kompliziertes Unterfangen, eine Koalition mit der AfD haben alle anderen Parteien ausgeschlossen. Die „Brandmauer“, die etablierte Parteien lange Zeit zur AfD aufzubauen oder aufrechtzuerhalten versuchten, ist längst einsturzgefährdet, auch wenn sich in Thüringens Hauptstadt Erfurt am Sonntagabend noch manch einer ein „demokratisches Bollwerk gegen die AfD“ wünscht, wie man in Passanten-Umfragen sieht. Man erinnert daran, dass in Thüringen 1930 die erste Regierung unter Beteiligung der NSDAP gebildet wurde. Mit solchen historischen Vergleichen und Lichterketten gegen rechts verstärke man nur eine Märtyrer-Rolle der AfD, ist das Gegenargument. „Das dämliche Brandmauer-Gerede und Brandmauer-Gehabe muss ein Ende haben“, sagt der umstrittene Thüringer AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke. „Hören Sie auf, mich zu stigmatisieren“, herrscht Höcke den ARD-Interviewer an, als dieser den Wahlsieger daran erinnert, dass die Partei als „gesichert rechtsextremistisch eingestuft“ werden kann. „Wir sind die Volkspartei Nummer eins in Deutschland“, hält Höcke entgegen.

Österreich kennt das aus den 1990er-Jahren

Manches, was heute in Deutschland diskutiert wird, hat Österreich schon in den 1990er-Jahren erlebt. Auch mit Blick auf die Lebenszyklen rechtspopulistischer Phänomene können wir zweckdienliche Hinweise liefern. Wenn in anderen Parteien nun der Schluss gezogen wird, dass man „den Menschen“ die eigene Politik eben besser erklären muss, wie in Reaktionen zu hören war, scheint man allerdings noch ganz am Beginn einer Lernkurve zu sein. Zu realisieren, dass man auf die falschen Inhalte setzt, und Themen, die für Wähler wenig Bedeutung haben, wäre mal ein Anfang. Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, dass die Ampelkoalitionäre SPD, Grüne und FDP das glaubwürdig schaffen. Es wird ein heißer politischer Herbst – nicht nur in Deutschland.