Manche der Rennradfahrer und auffällig vielen Rennradfahrerinnen, die am Sonntagvormittag die steile Stichstraße hinauf in Richtung Skigebiet Krvavec (am Südrand der Steiner Alpen in Slowenien) treten, tragen standesgemäß Trikots im „UAE“-Design. Am Tag des abschließenden Triumphzuges des großen Sohnes der Region präsentieren sie das Outfit des Top-Radteams mit noch mehr Stolz. Nach der Abfahrt schlängelt sich die breit ausgebaute, frisch asphaltierte und mit eigenen Fahrradstreifen versehene Landstraße weiter in Richtung Komenda, der Heimatgemeinde von Radsport-Superstar Tadej Pogačar, die nur gut eine Autostunde von Klagenfurt entfernt liegt. Die Ortstafeln von Komenda und Klanec, jener kleinen Ortschaft in der Pogačar mit seinen drei Geschwistern aufgewachsen ist, sind in rosa und dem Zusatz „Tadej Pogačar“ gehalten. Das rosa Trikot, der erstmalige Gewinn des Giro d’Italia in diesem Jahr, hat für die slowenischen Fans einen besonderen Stellenwert.
Die gelbe Farbe des Kreisverkehrs in Komenda, den sie vor vier Jahren nach Pogačars erstem Gesamtsieg bei der Tour de France angemalt haben, ist mittlerweile schon ordentlich ausgebleicht. Die neu dazugekommene rosa Farbe im Inneren des Kreises sticht hervor. Hinter dem Kreisverkehr hat sich ein Zeitungsfotograf positioniert, um einige Radfahrer beim Durchfahren abzulichten. Ein ARD-Team aus Wien ist ebenfalls nach Komenda gekommen, um aus Pogačars Heimat zu berichten. Noch gibt es wenig zu sehen für sie, um die Mittagszeit wirkt der Ort fast menschenleer. Auf einer Ausfahrtsstraße in Richtung Kranj hat jemand in rosa und gelb „Giro 2024“ und „Tour de France 2024“ auf die Straße gemalt. „Das hat mein Sohn gemacht“, erzählt Marija freudenstrahlend. Sie ist 74 Jahre alt und selbst „begeisterte Radfahrerin“, wie sie sagt. „Das Haus da unten gehört Pogačar. Und dort oben hinter dem Hügel sind die Jungs aufgewachsen“, berichtet Marija. Nächste Woche komme er wieder einmal in die Heimat.
Auch Marija freut sich auf die letzte Etappe der Tour de France am Sonntagnachmittag. Während sie es sich mit ihrem Mann zu Hause gemütlich machen wird, zieht es viele andere in den „Planinski Dom“, eine Art rustikale Berghütte im Tal mit großem Gastgarten knapp einen Kilometer vom Ortskern entfernt. Das Gasthaus ist zu Mittag schon gut gefüllt, die Menschen genießen ihr Essen, auf einer großen Leinwand laufen Eurosport-Highlights der Tour, im Hintergrund slowenische Volksmusik. Slavko Avsenik lässt grüßen. „Heute muss er nichts mehr beweisen, er kann die Etappe genießen“, sagt ein Gast über Pogačar. „Es schaut so leicht aus, wie er da über die Berge hinauffährt“, schwärmt eine Kellnerin.
Möglicherweise werden die Ortstafeln in Komenda bald wieder gelb sein, nachdem Pogačar am Sonntagabend auch das abschließende Zeitfahren dominiert und die Tour de France zum dritten Mal nach 2020 und 2021 mit dem gelben Trikot des Gesamtsiegers verlässt. Fünf von sechs schweren Bergetappen gewonnen, in der Gesamtwertung mehr als sechs Minuten Vorsprung auf den Zweitplatzierten Jonas Vingegaard, zum ersten Mal seit 1998 (Marco Pantani) gewinnt ein Radprofi Giro d’Italia und Tour de France in einem Jahr. Die Superlative für den erst 25-jährigen Ausnahmekönner mit dem schelmischen Grinsen und dem unwiderstehlichen Antritt sind schier endlos, er wird wohl noch viele Rekorde des legendären „Kannibalen“ Eddy Merckx purzeln lassen.
Die nochmalige, deutliche Leistungssteigerung Pogačars in diesem Jahr soll auch mit Kohlenmonoxid-Kreislaufgeräten zu tun haben, mit denen mehrere Teams experimentieren, vermuten Beobachter. Dabei sollen Athleten über einige Wochen mehrmals täglich kleine Mengen Kohlenmonoxid einatmen. Weil sich dadurch der Sauerstofftransport verringert, reagiert der Körper mit erhöhter Produktion von Hämoglobin (Protein, das 80 Prozent der roten Blutkörperchen ausmacht). Die maximale Sauerstoffaufnahme wird so gesteigert, die Leistung auch. Ob das wirklich so gemacht wird, offiziell wird mit den Geräten nur ein Test durchgeführt, ist unklar. Verboten ist das nicht, ein ethischer und medizinischer Grenzgang allerdings schon. Solche haben wir im Radsport schon einige gesehen. „Er ist ein großartiges Talent und ein fairer Sportsmann. Er würde nie etwas Verbotenes machen“, ist Marija überzeugt. Sie und viele andere in Komenda wollen noch oft mit Pogačar jubeln.