Keine Ahnung, ob die SPÖ das Thema der gestrigen Aktuellen Stunde im Parlament geändert hätte, wenn das Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico bereits passiert wäre. Keine Ahnung, ob sie Mäßigung, Debattenkultur, Abbau von Feindseligkeiten zum Thema gemacht hätte. Wie nicht anders zu erwarten, war aber die gestrige Aktuelle Stunde dem Wahlkampf geschuldet. Und somit ging es auch nicht um die dramatische Zunahme an Insolvenzen im ersten Quartal (plus 48 Prozent) oder die Konjunkturtristesse, über die meine Kollegen Markus Zottler und Manfred Neuper in unserer heutigen Ausgabe berichten. Es ging um folgende schlagzeilentaugliche Frage der SPÖ: „Wieso zahlen Milliardäre weniger Steuern als Menschen, die arbeiten gehen, Herr Bundeskanzler?“
Benkos Privatjet-Finanzierung lässt da grüßen! Wie auch die Berechnung des Netzwerkes Steuergerechtigkeit, nach der Mark Mateschitz prozentmäßig weniger Steuern zahlt als eine Mittelstandsfamilie. Im Gegensatz dazu hat wiederum die Agenda Austria berechnet, dass unter den Annahmen des Netzwerkes Steuergerechtigkeit Mark Mateschitz mehr Steuern als 47.000 Mittelschichtshaushalte zusammen zahlt. Unabhängig von all diesen Berechnungen bleibt angesichts der ansteigenden Insolvenzwelle nur eines zu hoffen: Dass erfolgreiche Unternehmen wie Red Bull & Co trotz ideologischer Ächtung, trotz aller Missgunst- und Neiddebatten Österreich treu bleiben und mit ihren Firmenzentralen nicht in Steueroasen abwandern.
Ein Thema, das sich für die Aktuelle Stunde abseits der Insolvenzen oder der politischen Debattenkultur angeboten hätte? Der gestrige Tag wie auch das gesamte Jahr 2024 ist einer kleinen Einheit gewidmet, ohne die jedes Gesellschaftssystem in sich zusammenfallen würde. 2024 wurde zum Jahr der Familie gekürt und gestern wurde zum 30. Mal der Internationale Tag der Familie zelebriert. Welchen Wert sie noch hat? Welchen Stellenwert in politischen Debatten die Familie, ihre Fürsorgeleistung, ihre Leistung für den Generationenvertrag einnimmt? Nahezu keinen. Wie auch Debatten über einen Minimalkonsens darüber, was eine Gesellschaft zusammenhält, wo familiäre Eigenverantwortung vor staatlicher Verantwortung und Bevormundung stehen müsste, zu gerne ausgeklammert werden. Wie die Frage, wann die Grenzen der Belastbarkeit eines Gesellschaftssystems beim Verhältnis zwischen einheimischen Familien und zugewanderten Familien überschritten wird, umschwiegen wird. Oder auch der ideologischen Ächtung ausgesetzt wird. Oder als Ausdruck rechtsextremer Gesinnung diskreditiert wird, um Debatten zu beenden, bevor sie begonnen haben. Was bekanntlich einer der Gründe für den Erfolg rechtsradikaler Parteien darstellt, die das diffuse Unbehagen größer werdender Bevölkerungsschichten formulieren. Ein Unbehagen, das nach Rufen nach dem Kalifat oder nach der Veröffentlichung von Zahlen von Schülern ohne ausreichende Deutschkenntnisse an Wiener Pflichtschulen weiter wachsen dürfte.
Ja, da könnten Sie nun einwenden, dass die Rufe nach dem Kalifat in Hamburg und nicht in Wien ertönten. Der Islam-Experte Ednan Aslan hat uns allerdings soeben eine ebenso bittere wie unangenehme Realität mitgeteilt. Die Kalifat-Fan-Gruppen hätten in Österreich, sagt er, weit ausgebautere Organisationsstrukturen als in Deutschland.
Wie auch immer, die Geburtenrate in Österreich beträgt knapp 1,5 pro Frau. Nötig wären 2,1. Was ein ehemaliger ÖVP-Nationalratspräsident dazu meinte? Beim Aufräumen meines Büros habe ich unter einem Berg von Papieren eine uralte APA-Meldung gefunden. Und gestaunt. Er wolle „keinen Sog nach Österreich“, wurde der damalige Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) zitiert. Ihm wäre lieber, die Österreicherinnen bekämen wieder mehr Kinder als dass über Zuwanderung das Sozialsystem gesichert werde. „Ich möchte, dass unsere Kultur, das Österreichische weitergeht und nicht, dass wir immer weniger Österreicher und Österreicherinnen von Geburt an hier im Land haben“, ließ er wissen. Wann er das sagte? Zu einer Zeit, in der er nicht geahnt haben dürfte, dass Jahrzehnte später in Wien sieben von zehn Schülern an Mittelschulen im Alltag nicht mehr Deutsch sprechen und ohne Zuwanderung Spitäler nicht mehr funktionsfähig wären. Er sagte es im August 2003. Heute würde er mit seinem Wunsch nach dem „Österreichischen“ wohl ins AfD-Eck verbannt.
Am Ende noch eine Weisheit von Max Frisch. Scherz, schrieb er, sei die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste Sentimentalität. Die beste und sicherste Tarnung sei aber immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaube niemand.
Einen Donnerstag mit oder ohne Tarnung im Jahr der Familie wünscht Ihnen