Heute im Einstiegsportal der Zeitung: viel Wissenswertes über das Essen und seine Zukunft. Intimeres als das Zusichnehmen von Nahrung gibt es nicht: Was und wie, das macht den Menschen und seine Identität aus, nicht nur, aber zu einem Gutteil. Man ist, was man isst. Der Aphorismus ist Aufhänger unseres Tagesthemas, aufbereitet von zwei jungen Begabungen, Vilja Schiretz und Tobias Kurakin. Es geht ums Fleisch, ums „kultivierte“ Fleisch. 
 
Ich muss gestehen, dass ich das Wort bisher nur in Zusammenhang mit menschlichen Wesen gekannt und verwendet habe und ausschließlich in positivem Kontext, Kultiviertheit und Verfeinerung als Ziel der Ich-Werdung, jetzt lerne ich, dass es auch kultiviertes Fleisch gibt, und ich muss mich erst daran gewöhnen, dass ich das womöglich kultiviert finden soll, weil es - gesichert ist nichts - Schadstoffe dämmen hilft. 
 
Kultiviertes Fleisch also: Fleischfasern, aus tierischen Muskelzellen gezüchtet. In einer Nährstofflösung. Noch ist es verboten, aber es werde sich einfügen in die Wirklichkeit, mutmaßt Walter Hämmerle, Sohn eines Metzgers. Der Vater habe sich seinerzeit schon beim Anblick eines industriellen Burgers einen mittelschweren Entfremdungsschock geholt, was erst würde er, lebte er noch, bei der Vorstellung von Fleisch aus dem Labor empfinden, fragt sich der Journalist.
 
Die eigenen Eltern waren keine Metzger, aber halbe. Sie wuchsen in bäuerlichen Mileus auf. Das prägte sie und uns Kinder. Sie ließen einmal im Jahr, wenn geschlachtet wurde, das Fleisch vom Bergbauern am Stöfflerberg, hoch über dem Gailtaler Kindheitsdorf, ins Haus liefern. Man kannte einander, wusste und schätzte, wie die Tiere oben auf den Wiesen, wo heute Paragleiter ins Tal segeln, gehalten und gefüttert wurden. 
 
Im Keller zerteilten sie es mit der Fleischsäge und verwerteten die Reste mit dem Fleischwolf. Zurück blieb nichts. Sie hatten es als Heranwachsende am Hof gelernt. Die Fertigkeit versiegte mit ihrer Generation. Der Vater schnitt, die Mutter wies an, wie. Fleisch gab es, ähnlich wie das weiße Hemd, nur an Sonntagen. Es war nichts Alltägliches, allzeit Verfügbares, sondern etwas Rares, es entzog sich der späteren Kultur der Einebnung. 
 
Vom ökologischen Fußabdruck war am Tisch noch nicht die Rede, auch nicht vom Kreislauf des Regionalen, aber gelebt wurde beides, bewusst oder instinktiv tat man das Richtige und lebte es den Nachkommenden vor. Die Bilder und die Haltung haben sich deren Bewusstsein zum Glück robust verankert, nur die alte Fleischsäge hängt als Erinnerungsstück an der Kellerwand und rostet kultivierten Zeiten entgegen.
 
Einen genussvollen Tag wünscht 
 
Hubert Patterer