Die Gnadenlosigkeit und ihre Handelspartner. Das Miese und seine Käuflichkeit. Der Rufmord, für den man keine Tatwerkzeuge mehr braucht, sondern nur den öffentlichen Raum, der zum Hinrichtungsraum wird, unter Beteiligung so vieler, weil jeder, ohne Schwelle, Zutritt zu ihm hat und jeder jedem zu jeder Zeit alles sagen kann.
Ein Hinrichtungsraum, der nicht zuwartet, bis ein Vorhalt, hier: der Vorwurf ungenügenden Ausweisens fremder Quellen, geprüft und geklärt ist. Der nicht abwägt und einordnet, sondern zuschlägt und niederstreckt, in diesem Fall: eine Kollegin, die man in all den Jahren als personifiziertes Gegenteil all dessen kennen- und schätzen gelernt hat, was ihr öffentlich-standrechtlich zum Vorwurf gemacht wird, und wenn das quälend Ungewisse in den kommenden Stunden gewiss werden sollte: über den Tod hinweg.
Die Beklommenheit, die sich gestern Nachmittag über den wändelosen Newsroom legte, war mit Händen zu greifen. Auf einem der großen Fernsehschirme, die von der Decke hängen, lief stumm die „Sondersendung“ eines Privatsenders zur nächtlichen Maskerade. Minütlich, mit jedem Anruf, jeder Recherche, jedem neuen Informationspartikel, verdichtete sich die Nachrichtenlage, die wir in der Befangenheit so nicht nannten, sondern höchstens blanke Befürchtung oder Bestürzung.
Auf dem Handy, hell ausgeleuchtet, wenn man beim Nachlesen drauftippt, unser letztes, fernschriftliches Zwiegespräch. Erst diese Woche, Montag spätabends.
Ich schrieb ihr:
„Liebe Alexandra, wer wie ich weiß, mit welcher Ernsthaftigkeit, mit welchem Selbstanspruch und welchem Ethos du deinen Beruf lebst, kann über die üble Nummer, über das, was da über dich kommt, nur den Kopf schütteln. Lass dich nicht aus dem Lot bringen von den Ehrabschneidern draußen und drinnen!“
Sie hätte zu diesem Zeitpunkt vermutlich mehr an Schutz und Unterstützung gebraucht als das flüchtig Hingetippte, gut Gemeinte. Sie hat den Zuruf dennoch noch in derselben Nacht erwidert.
Sie schrieb:
„Lieber Hubert, ich danke dir für deine Worte. Ich lerne gerade viel über Medien, Mechanismen und Menschen … Und den Herrn Weber hab ich schon in den Proseminaren (auf der Salzburger Publizistik, Red.) nicht gemocht, bei denen wir 1989 und 1990 an der Uni nebeneinander saßen. Irgendwann erzähl ich Dir bei einem Glas Wein die Hintergründe. Herzlichen Gruß, Alexandra.“
Wenn das Schlimmste, dem sich noch immer ein Rest an Hoffnung entgegenstellt, eingetreten sein wird, wird über all das zu reden sein, öffentlich. Über das Miese, den Hinrichtungsraum, das Schrankenlose und die Gnadenlosigkeit. Und wo sie uns alle hintreibt, auf welche Abgründe zu.