Der OGH hat in seinem jüngsten Urteil zu „wrongful birth“ und „wrongful conception“ die Geburt eines unerwünschten behinderten Kindes als Schadensfall anerkannt. Der Arzt, der bei der Pränataldiagnostik das Fehlen eines Oberarmes übersehen hatte, wurde zum Schadenersatz der nicht nur behinderungsbedingten Mehrkosten, sondern für die gesamte Lebensexistenz des Kindes verurteilt.
Vor 15 Jahre wurde die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Parlament beschlossen. Österreich hat sich vom medizinisch defizitären Modell der Betrachtung von Menschen mit Behinderungen abgewandt. Im Vordergrund sollen jetzt die Fähigkeiten und Potentiale von Menschen mit Behinderungen stehen. Behinderte Kinder haben ein Recht auf gleichberechtige Teilhabe in allen Lebensbereichen. Das OGH-Urteil wirft diese Bemühungen zurück und führt behinderten Menschen wieder vor Augen, dass sie in Wirklichkeit Schadensfäll seien!
Mir schaudert davor, wie es dem jetzt sechsjährigen Kind geht. Wie lebt man als Kind, wenn man früher oder später erfährt, dass man wegen dem fehlenden Oberarm von den Eltern unerwünscht sei und die gesamten Kosten der Lebensexistenz von einem Arzt gezahlt werden müssen. Ich glaube, dass hier der psychische Schaden weitaus größer ist, als die erreichten Schadenersatzforderungen. Im OGH-Urteil ist zu lesen, dass die Eltern auch argumentiert hätten, die Abtreibung im Ausland durchzuführen, da die Voraussetzungen für eine schwere Behinderung, wie sie bei der eugenischen Indikation vorgesehen wäre, wohl nicht zum Tragen gekommen wäre.
Haarsträubende Argumentationen des OGH: Jedes Unerwünschte Kind hat ein Recht auf Schadenersatz
Die bisherigen OGH-Urteile standen unter massiver Kritik der Ungleichbehandlung: während bei der unerwünschten Geburt von gesunden Kindern kein Schadenersatz zuerkannt worden war, wurde er bei einem unerwünschten behinderten Kind sehr wohl immer zugesprochen. Der Senat hätte auch entscheiden können, dass die Geburt des behinderten Kindes kein Schadensfall sei. So solle etwa auch bei misslungenen Vasektomien oder einem gerissenen Kondom Schadensersatzansprüche entstehen. Ein neugeborenes Kind soll ein Schaden sein, weil die Eltern kein Kind wollten. Wieso wird hier nicht das Grundrecht auf Leben höher bewertet als das Recht auf Privat- und Familienleben. Es ist verrückt aus dem Recht auf Familienleben abzuleiten, dass ein Kind einen Schadensfall darstellt. Wo sind wir da hingeraten? Ich verkenne dabei nicht das Bemühen des OGH, die Diskriminierung von behinderten Kindern zu unterbinden, indem man auch nicht behinderte Kinder zu Schadensfällen macht. Aber diese Logik führt zur Entmenschlichung! Die Aufgabe der Rechtsordnung in einem demokratischen, liberalen Staat muss es doch sein, Leben zu schützen, auch dann, wenn es von „Idealvorstellungen“ abweicht oder von anderen nicht gewollt ist.
Die Gleichstellung von „wrongful birth“ bei der Geburt eines unerwünschten behinderten Kindes mit „wrongful conception“, der Geburt eines unerwünschten nicht behinderten Kindes, hat zur unglaublichen Folge, dass es erstmal auch ein Recht auf kein Kind gibt. Das, so wird argumentiert, sei grundrechtlich durch den Schutz des Privat- und Familienlebens gesichert.
Der Gesetzgeber ist gefordert
15 Jahre war ich im Parlament tätig. Dabei habe ich zu „wrongful birth“ das Gespräch mit den Frauen- und Behindertensprecher:innen der anderen Parteien vergeblich gesucht. Jetzt wäre es höchst an der Zeit, den Dialog zu führen und eine gesetzliche Regelung zu finden. Es braucht ein klares, gesetzliches Bekenntnis, dass jedes Kind willkommen ist und jeder Mensch, egal ob behindert oder nicht seinen Wert in der Gesellschaft hat!
Das Leben kann niemals ein Schadensfall sein. Ärzte können nicht für schicksalhafte Behinderungen verantwortlich gemacht werden, sondern nur für ärztliche Kunstfehler, die Behinderungen verursacht haben. Wenn die leiblichen Eltern das Kind nicht haben wollen, bleibt der Weg der Adoption und Pflegschaft offen. Es gibt in Österreich viele Paare, die sich ein Kind wünschen.
Franz Joseph Huainigg