Nach einem Winter der purzelnden Rekorde haben im Skiweltcup nur noch wenige Uraltbestmarken Bestand. Eine davon sind seit 1979 die sechs Gesamtsiege von Annemarie Moser-Pröll. Österreichs Olympiasiegerin und Jahrhundertwintersportlerin hat derzeit doppelten Grund zum Feiern, denn die Skiikone aus Salzburg feiert am kommenden Montag ihren 70. Geburtstag.
Und das bei ausgezeichneter Gesundheit. "Ich tue aber auch was dafür", verweist Moser-Pröll auf ein nach wie vor aktives Leben mit Bergwandern, Skifahren und Tennis. Alles mit Maß und Ziel zwar, nur Letzteres betreibt die leidenschaftliche Jägerin gerade intensiver. Zu ihrem Siebziger will sie nämlich Gutes tun und mit einem Charity-Tennisturnier im Mai in Wien, an dem sie selbst aktiv teilnimmt, Geld spenden.
Den Geburtstag selbst begeht Moser-Pröll eher "gemütlich", geht mit der Familie und danach mit der befreundeten Ex-Rivalin Marie-Theres Nadig Ski fahren. "Zu Hause werde ich nicht sein, da geht die Tür nicht mehr zu", so Moser-Pröll schmunzelnd.
Filmreifes Leben und Karriere
Das Leben und die Karriere der am 27. März 1953 als sechstes von acht Kindern in Kleinarl im Pongau geborenen Bergbauerntochter sind als Verfilmung eigentlich überfällig. Wie Jahrgangskollege Franz Klammer hat Moser-Pröll, die seit der Hochzeit mit Herbert Moser (verstorben 2008) tatsächlich nur Moser heißt, ein gutes Jahrzehnt den Skirennsport maßgeblich geprägt und gehört anhaltend zu den Legenden ihrer Zunft.
Ihre 62 Weltcupsiege waren eine Marke, die 35 Jahre Bestand hatte und erst 2015 von Lindsey Vonn und 2019 auch noch von deren US-Landsfrau Mikaela Shiffrin übertroffen wurde. Dass Shiffrin nach Ingemar Stenmark absehbar auch Moser-Pröll vom Thron stoßen wird, ist für die Österreicherin nur logisch. "Ich hatte eine so wunderbare Zeit, dass ich nicht darüber nachdenke, ob mir jemand den Kugelrekord wegnimmt. Mikaela ist eine so perfekte Skifahrerin, dass sie nach oben keine Grenzen hat, wenn sie gesund bleibt." Elf Abfahrtssiege in Folge wird Moser-Pröll hingegen wohl keine so schnell nachmachen.
Das Filmreife an Leben und Karriere von "La Pröll", wie sie zunächst von der französischen Presse respektvoll genannt wurde, ist rasch beschrieben. Ihre erste Weltcupabfahrt beendete sie als 14-Jährige in Bad Gastein weinend, weil nach mehreren Stürzen als Letzte. Doch rasch entfachte das ehrgeizige Mädchen, das mit vom Vater aufgebogenen Dachschindeln das Skifahren gelernt hatte, mit ihren Erfolgen einen landesweiten Hype und wurde zum Skisuperstar ihrer Zeit.
"Sie raucht, sie säuft und sie gewinnt"
Samt Legendenbildung. Als sie etwa trotz Erkrankung einmal alle Rennen in Grindelwald gewonnen und danach einige Gläser Champagner geleert hatte, schrieb ein fassungsloser Schweizer Journalist über die Österreicherin: "Sie raucht, sie säuft und sie gewinnt."
Das Rauchen hat Moser-Pröll längst aufgegeben. Auch im Auto gibt die als einstige Hobbyrennfahrerin ("Ich war ein riesiger Jochen-Rindt-Fan") mit 70 nicht mehr ganz so Vollgas wie in den "wilden" 70er-Jahren.
Moser-Pröll löste im skiverrückten Österreich jedenfalls eine Schockwelle aus, als sie mit nur 23 Jahren nach ihrer bis dahin erfolgreichsten Saison überraschend den Rücktritt bekannt gab. Da hatte das "Supergirl" (Zeitungstitel) schon zwei WM-Goldene, 41 Weltcuprennen sowie fünf große Kristallkugeln in Folge gewonnen. Die von der Skifirma bekrittelte Namensänderung, Drohbriefe sowie Materialdiskussionen hatten bei "Annamirl" die Lust am Skifahren aber stark getrübt. Als auch noch der Vater schwer erkrankte, warf Moser-Pröll ausgerechnet vor dem Winter mit Heim-Olympia 1976 in Innsbruck hin. "Ich hatte damals die Schnauze so richtig voll", wird Moser-Pröll auch 43 Jahre nach ihrem Rücktritt bei dem Thema emotional.
Rückkehr in den Skizirkus
Die Schulden wegen des in der Pause eröffneten Cafes Annemarie (heute "Cafe Restaurant Olympia") waren ein Katalysator dafür, dass Moser-Pröll doch wieder in den Skirennsport zurückkehrte. Wegen der in der Rennpause gedrehten Werbefilme musste sie aber reamateurisiert werden. Moser-Pröll hängte gleich vier weitere Jahre an und siegte so schnell wieder, dass Konkurrenz und Fachpresse fassungslos waren.
Insgesamt holte Moser-Pröll in elf Saisonen neben sechs großen Kugeln zwischen 1970 und 1980 auch zwölf Disziplinenwertungen und fuhr bei über 200 Weltcupstarts 114-mal auf das Podest. Neun WM- und drei Olympiamedaillen runden die Bilanz der fünffachen Weltmeisterin ab. Am Ende gab es 1980 in Lake Placid (USA) auch noch das ersehnte Olympiagold in der Abfahrt, nachdem sie 1972 in Sapporo als haushohe Favoritin im Zuge des Schranz-Skandals gescheitert war und 1976 eben freiwillig gepasst hatte.
Obwohl immer noch erst knapp 28 – also so alt wie Shiffrin heute – gab es danach für Österreichs siebenfache Sportlerin des Jahres (Rekord) keine Comeback-Überlegung mehr. Moser-Pröll trat 1980 endgültig zurück, wurde Mutter einer Tochter namens Marion und als Gastronomin zur Meisterin in der Backstube.
"Man schaut sowieso immer vorwärts"
Der Siebziger schrecke sie gar nicht, betonte Moser Pröll nun. "Es ist für mich ein Geburtstag wie der 69. oder der 71. Das Leben bekommt keinen plötzlichen Knick deshalb und man schaut ja sowieso immer vorwärts."
Jener nach hinten löst bei der 1999 in der Wiener Staatsoper an der Seite von Muhammad Ali, Pele oder Carl Lewis zur Weltwintersportlerin des Jahrhunderts gewählten Salzburgerin ohnehin eher Gänsehaut aus.
Die im Zuge von "Me too" aufgekommenen Vorwürfe gegen den 2009 verstorbenen Toni Sailer sowie ihren Ex-Coach Karl Kahr (90) hätten sie sehr getroffen, betont Moser-Pröll. Mit Sailer habe sie ebenso eine lebenslange Freundschaft verbunden wie mit Kahr.
Dazu kam Corona. "Arm waren vor allem die Kinder und Jugendlichen", so die Großmutter eines 20-jährigen Enkels. "Für die hätte es die beste Zeit ihres Lebens sein sollen. Und dann sind sie praktisch nur am Zimmer gewesen." Tipps wolle sie der Jugend grundsätzlich keine geben. "Nur so viel: Es hilft, wenn man ein klares Ziel hat und dieses dann konsequent verfolgt." Sie selbst wolle weniger als Sportlerin denn als Mensch in Erinnerung bleiben. "Als ein Kumpel. Als eine Kameradin, mit der man Pferde stehlen konnte."