Er galt als stiller Star und als Schauspieler mit einem Abo auf Sonderlinge: Gerd Baltus gehörte bei TV-Produktionen oft dann zur bevorzugten Besetzung, wenn es um die Darstellung schwieriger Individualisten, ewiger Verlierer oder psychopathischer Figuren ging. Vor allem Serienmacher engagierten den Schauspieler, der am Freitag im Alter von 87 Jahren in Hamburg starb.
Ob Buchhalter oder Bösewicht - Baltus war eine Zeit lang einer der meistbeschäftigten Schauspieler des deutschen Fernsehens. Mit seiner markanten Stimme hauchte er auch vielen Hörspielfiguren Leben ein. Gleich am Anfang seiner Arbeit vor der Kamera stand ein Preis: Als bester Nachwuchsschauspieler erhielt er 1965 den Bundesfilmpreis für seine Rolle als Leutnant Beckerath in "Wälsungenblut", der Verfilmung der gleichnamigen Thomas-Mann-Novelle. Da hatte Baltus die 30 schon überschritten, reichlich Erfahrungen an Bühnen gesammelt und war noch Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele.
Dabei hatte der Vater des gebürtigen Bremers, ein Kaufmann, eine andere Laufbahn für seinen Sohn geplant: erst Abitur, dann Jura-Studium. Doch nach vier Semestern der Rechtswissenschaft zog es den jungen Mann zum Theater. Ohne Schauspielausbildung gelang ihm 1953 auf Anhieb ein Engagement am Hamburger Schauspielhaus, dem er später unter Gustaf Gründgens bis 1956 angehörte. Nächste Stationen waren das Bonner Theater und die Münchner Kammerspiele, wo ihm in Max Frischs "Andorra" der Durchbruch gelang. Gastspiele gab er am Hamburger Thalia Theater und bei den Salzburger Festspielen. Unter August Everding spielte er 1972 im Münchner Residenztheater neben Volksschauspieler Heinz Rühmann in Harold Pinters "Der Hausmeister". Wenige Jahre später wandte sich Baltus von der Bühne ab.
Einen ersten Ausflug zum Film hatte er als Student ("Das Bankett der Schmuggler") unternommen, später reizte ihn fast nur noch die Arbeit vor der Kamera. Seit Mitte der 70er Jahre konzentrierte sich Baltus auf das Fernsehen. In der Serie "Der Kommissar" etwa hatte er bis dahin mitgewirkt, viele weitere sollten folgen: "PS - Geschichten ums Auto", "Lorentz & Söhne", "Derrick", "Mit Leib und Seele", "Ein Bayer auf Rügen", "Unser Lehrer Doktor Specht" oder "Zwei Männer am Herd" sind nur einige Beispiele. Dazu immer wieder "Tatort". Rollen in "In aller Freundschaft" und "Danni Lowinski" zählten zu seinen letzten Auftritten.
Der dunkelhaarige, 1,84 Meter große und stämmige Mime - gern etwas behäbig und verrückt wirkend - war gefragt. Wie er sich auf seine Rollen vorbereitete, beschrieb Baltus mal so: "Ich setze mich in den Sessel und denke darüber nach. Mir fällt dann irgendwann was ein, aber ich warte, bis es mir einfällt." Und er versuchte, aus seinem Image auszubrechen: "Also ich habe immer die Mühe, dass 90 Prozent aller Angebote, die ich bekomme, immer diese verdrückten Typen sind, und wenn einer mit diesen anderen 10 Prozent kommt, greife ich immer sofort zu, damit ich auch mal was anderes spiele. Aber meistens wird man festgelegt."
Mit "verdrückten Typen" habe Baltus die leicht verklemmten, schwierigen Sonderlinge gemeint, sagte seine Frau Brigitte Rohkohl dazu. Privat sei er ganz anders gewesen: sehr beliebt bei den Kollegen und unglaublich witzig, sagte sie am Samstag der Deutschen Presse Agentur.
Sein eigener Anspruch: "Ein Schauspieler darf nicht glatt sein, sondern muss manchmal bewusst Unzulänglichkeiten in die Darstellung einer Person einbauen, um glaubwürdig zu wirken." Die Liebe zu seinem Fach gab er Sohn Philipp Baltus mit: Auch dieser ist Schauspieler und Sprecher - ganz wie der Vater. Beide waren 2011 etwa in der Krimikomödie "Der Mann, der alles kann" zu sehen.
Beruflich zog es ihn immer wieder vor Publikum, doch privat bevorzugte Baltus Zurückgezogenheit: Publicity-Rummel mochte er nie. "Er war einer der wenigen Schauspieler, die nie in einer Talkshow oder auf dem Roten Teppich waren", sagte seine Ehefrau weiter. Er habe es nicht gemocht, wenn Schauspieler sich so produzierten. Das Paar war 45 Jahre verheiratet.
Rohkohl bezeichnete den Schwarz-Weiß-Film "Der Idiot" aus dem Jahr 1968 als "die wunderbarste Arbeit" ihres Mannes. Für ihn sei zudem die Zeit bei den Münchner Kammerspielen die "schönste und wichtigste Zeit" gewesen, weil er dort als Schauspieler noch um Inhalte streiten konnte