Am 25. Oktober veröffentlicht Conchita-Erschaffer Tom Neuwirth das erste Album unter seinem neuen Alter Ego WURST. Am 2. November schließt sich das Releasekonzert für "T.O.M. Truth Over Magnitude" im Wiener WUK an. Hinzu kommen neue Conchita-Konzerte in der Stadthalle und die ProSieben-Show "Queen of Drags" mit Heidi Klum und Bill Kaulitz, die am 14. November startet.
Also gleich mehre Anlässe, wegen derer die APA den entspannt wie selten wirkenden Künstler traf, um mit ihm über seine musikalische Heimat, seine neu entdeckte Liebe zu Conchita und darüber zu sprechen, warum er jetzt im Restaurant weniger zahlt.
Das Album "T.O.M." ist musikalisch eine ganz andere Klasse als der bisherige Conchita-Divenpop. Sind Sie damit nun musikalisch in Ihren Heimathafen eingelaufen?
WURST: Für den Moment bin ich da angekommen, wo ich hin möchte. Aber bei mir weiß man, dass man sich auf nichts verlassen kann. Insofern weiß ich nicht, wie sich das Ganze in Zukunft weiterentwickeln wird. Ich wollte immer Celine Dion sein - und habe das in meiner Welt geschafft. Ich habe alle großen Lieder gesungen, alle großen Roben getragen. Da kam einfach irgendwann in mir die Frage auf: Warum mache ich nicht die Musik, die ich auch privat höre?
Die Komponistin von "T.O.M" ist Eva Klampfer. Wie sehr waren Sie an der Entstehung der Songs selbst beteiligt?
Meine Plattenfirma hat mich auf Songwriting-Camps geschickt in der Hoffnung, dass dort mein Talent erblüht - ist es aber nicht. Ich kann das einfach nicht: Meine Melodien sind zu platt, meine Gedanken zu einfach. Als ich dann versucht habe, in mir eine logische Weiterführung von Conchita zu finden, habe ich dann schließlich Eva Klampfer kennengelernt. Und sie erzählt mit einer Eleganz und Einfachheit unglaublich ästhetische Geschichten. Da hätte ich mich als Popprinzesschen ja nie getraut zu fragen, ob sie mit mir arbeiten möchte - insofern kann ich mir da alle zehn Finger abschlecken.
Wie sah nun aber der konkrete Prozess des Songschreibens aus - zumal die Songs auf "T.O.M." ja extrem persönlich wirken?
Es war relativ schnell klar, was meine Rolle im Prozess des Schreibens sein wird: Die wie eines Patienten bei seiner Therapeutin. Eva und ich haben viel miteinander gesprochen. Sie weiß jetzt mehr über mich als sie je wollte. (lacht) Sie hat dann spezifisch die Essenz meiner Geschichten für die Songs herausgefiltert. Außerdem hat mein Produzent Albin Janoska alte Tonspuren von mir eingearbeitet! Deshalb fühlt sich "T.O.M." auch neben "Rise like a Phoenix" als das Authentischste an, das ich je gemacht habe.
Wie hart mussten Sie an ihrer Stimme arbeiten - schließlich ist das Timbre, das Sie für WURST brauchen, ein gänzlich anderes als für Conchita?
Ich habe ja immer die von Eva Klampfer eingesungenen Demos bekommen - was absolute Schätze sind. Ich konnte da immer nur sagen: Ich liebe es, aber wie soll ich das je singen?! Und ihre Antwort war: Übe! Ich komme ja aus der Welt des Höher, Lauter, Mehr. Und hier die richtige Farbe zu finden, das war eine Challenge. Live wird nun für mich die Herausforderung, eine Atmosphäre zu erzeugen, nicht einen Song zu singen. Das ist etwas, das ich noch nicht oft gemacht habe.
Im Gegensatz zu Ihren Conchita-Projekten bietet "T.O.M" den Vorteil, dass sich die Nummern auch in kleinen Clubs mit nur einem DJ performen lassen. Ist schon eine Tournee fixiert?
Ich plane derzeit ab Februar eine Tour mit Band durch Europa. Aber parallel habe ich schon auch mit dem Club-Gedanken gespielt und mit etwas härteren Versionen als denen auf der Platte.
Für Ihren neuen musikalischen Weg haben Sie zwar neben Conchita eine neue Persona aus sich herausgeschält, mit dem Namen WURST nun aber auch keinen harten Cut zum bisherigen Weg gesetzt. Warum nicht?
Ich habe es mir überlegt, und ich bin ja durchaus auch radikal in meinen Entscheidungen. Aber bei aller Selbstverwirklichung wünsche ich mir doch auch, dass ich weiterhin meine Rechnungen zahlen kann. Wenn ich zum Beispiel TOM heißen würde, findet man mich dann noch im Netz? Müsste ich mir neue Social-Media-Kanäle zulegen? Conchita ist all das, was ich an Camp und Überdrüber liebe. Und auf der anderen Seite geht es ja fast nicht brachialer und derber als mit dem Wort WURST. Dieses neue Projekt ist genauso unverblümt und unverziert wie das Wort WURST.
Haben Sie je überlegt, Conchita ganz den Laufpass zu geben?
Ich habe das Projekt WURST begonnen und dachte mir: Keine Peppis mehr, keine Highheels. Been there, done that. Und damit hätte ich fast wieder denselben Fehler gemacht: Mich auf eine Seite zu reduzieren. Da wäre ich wieder Gefahr gelaufen, dass es mich schnell so langweilt und unglücklich macht, dass ich gesagt hätte: Das ist es jetzt auch nicht. Ich habe das zum Glück früh genug erkannt.
Conchita ist im Vergleich zum sexuelleren WURST eine aseptischere Figur. Wie haben Sie sich nach der Krise Conchita wieder angenähert?
Auch Conchita ist im Jahr 2019 angekommen. Ich würde sie jetzt eher als heiß bezeichnen - und nicht wie früher als Präsidentengattin. Ich habe Conchita beim Dreh zu "Queen of Drags" wiedergefunden. Und ich habe mich wieder so in sie verliebt! Sie ist schöner denn je.
Vermissen Sie bei WURST nicht das Momentum wie bei Conchita, ohne Schminke im Privatleben anonym zu sein?
Ich zahle plötzlich weniger im Restaurant. (lacht) Wenn ich früher privat ausgegangen bin, hat mich keiner erkannt. Jetzt bekomme ich den besten Tisch. Aber nicht nur die Leute haben sich geändert, sondern auch ich. Jetzt möchte ich mit all dem, was in meinem Leben passiert ist und mit dem neuen Selbstbewusstsein, das ich habe, dass auch alle wissen, wenn ich in einen Raum betrete! Ich liebe es, im Mittelpunkt zu stehen. Und ich liebe, wenn man über mich spricht.
Was hat sich da in Ihrem Leben geändert?
Ich habe mich wohl in einer Ehrlichkeit mit mir auseinandergesetzt, wie nie zuvor. Meine Befindlichkeiten, mein Ego und all diese Dinge, die im sozialen Kontexte eher kontraproduktiv sind, habe ich mir ehrlich angeschaut. Das war nicht immer einfach und nicht immer schön. Aber sich so kennenzulernen und das zu reflektieren, hat mir eine extreme Freiheit gegeben, weil ich mich jetzt mehr verankert fühle. Ich weiß, wo meine Grenzen sind. Ab dem Moment, an dem mir das klar wurde, hatte ich nur mehr eine Gaudi.
Haben Sie das Gefühl, sich nicht mehr hinter der Maske einer Kunstfigur verstecken zu müssen?
Ich muss mich nicht verstecken hinter einer Maske, sondern ich spiele damit. Und das genieße ich sehr. Ich bin so offen für alles, was mir passiert, dass ich so entspannt bin wie noch nie. Ich muss nicht die Welt retten.
Martin Fichter-Wöß/APA