Der Fall des US-Rappers Sean „Diddy“ Combs (54) hat ein Schlaglicht auf ein Thema geworfen, das lange unter dem Radar geblieben ist: sexueller Missbrauch in der Musikindustrie. Sieben Jahre, nachdem die MeToo-Bewegung Hollywood erschütterte, stellt sich einmal mehr die Frage, wie es in der Musikbranche darum steht. Angesichts der Monstrosität der Vorwürfe, die gegen Combs erhoben werden, hoffen manche Aktivisten, dass langsam auch in dieser Branche ein Problembewusstsein entsteht.
Was steckt dahinter?
Combs wurde Mitte September in New York festgenommen und kurz darauf wegen Sexhandels und Nötigung angeklagt. Laut Anklageschrift hat der mächtige Rap-Mogul über Jahrzehnte hinweg „Frauen und andere in seiner Umgebung missbraucht, bedroht und gezwungen, seine sexuellen Wünsche zu erfüllen, seinen Ruf zu schützen und seine Taten zu verheimlichen“. Der 54-Jährige habe sich seines „Imperiums“ im Musikgeschäft bedient, um seine Ziele zu erreichen, heißt es weiter. Combs plädiert auf nicht schuldig, ab Mai muss er sich vor Gericht verantworten.
Vor fünf Jahren ließen die massiven Vorwürfe gegen den R&B-Star R. Kelly wegen sexueller Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Missbrauchs Minderjähriger aufhorchen. Der Skandal beendete seine Karriere: Kelly wurde 2022 wegen schwerer Sexualverbrechen und Menschenhandels zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.
Dennoch hat sich bis heute in der Musikindustrie, bei der Sex, Drugs and Rock 'n' Roll immer mitgedacht werden, wenig geändert. „Wir stellen Rockstars eine Art Freifahrtschein aus“, sagt die Expertin Caroline Heldman vom kalifornischen Occidental College. Heldman ist Mitbegründerin der Gruppe Sound Off Coalition, die sich dem Kampf gegen sexuelle Gewalt in der Musikindustrie verschrieben hat. Viele Opfer hätten das Klischee verinnerlicht, wonach schlechtes Verhalten zu erwarten sei, „da es sich ja um einen Rockstar handelt“.
Hautfarbe und Bekanntheitsgrad der Opfer spielt eine Rolle
Überdies stünden die Stars der Branche in dem Ruf, Genies zu sein, sagt Kate Grover von der Universität Washington and Lee. Damit hätten sie den Nimbus von Leuten, die praktisch nicht scheitern könnten. Ferner sei typisch für die Musikbranche, dass Frauen „viel mehr als Wegwerfware betrachtet werden als Männer“, sagt Grover.
Auch die Hautfarbe und der Bekanntheitsgrad eines Opfers spielten demnach eine Rolle bei der Frage, ob Fälle von sexueller Gewalt Aufsehen erregten. Im Fall des Hollywood-Moguls Harvey Weinstein erhoben weltberühmte Schauspielerinnen wie Angelina Jolie und Gwyneth Paltrow die Missbrauchsvorwürfe - und fanden damit enormen Widerhall.
Verstörendes kommerzielles Phänomen
Der Fall Combs zeige exemplarisch „die Macht einiger Personen in der Musikindustrie, die ihren Ruhm und ihre Ressourcen einsetzen“, um Opfer zum Schweigen zu bringen, sagt Heldman. Dies gelte auch für andere Stars der Branche. Ende vergangenen Jahres beklagte die Sängerin Tiffany Red eine tief in der Musikindustrie verwurzelte Unkultur von „Vergewaltigung und Frauenfeindlichkeit“. Diese sei eine echte Bedrohung für die Sicherheit vieler Menschen, sagte sie.
Dazu gibt es laut Heldman noch ein verstörendes kommerzielles Phänomen: Die Verkäufe von R. Kelly schnellten nach seiner Verurteilung um mehr als 500 Prozent in die Höhe. Auch die Musik von Combs verzeichnete in den Tagen nach dessen Verhaftung auf den Streamingplattformen einen Anstieg um 18,3 Prozent bei den Hörern.
Dies erklärt sich zum Teil durch die Neugierde aufgrund der Medienberichterstattung, aber auch dadurch, dass die Fans der Musiker unerschütterlich zu ihnen halten - egal, was die Stars - vorgeblich oder tatsächlich - anrichten. Dennoch glaubt Heldman, dass allmählich ein Wandel spürbar wird: Ihrer Meinung nach dürfte den Stars der Branche, die solche Verbrechen begangen haben, inzwischen klar sein, „dass sie sich keine Fehler mehr erlauben dürfen“.