Leserbriefe zu „Ein neues Zeitalter hat begonnen“, 19. 11.

Kein „Weiter wie bisher“ lautet das ausgegebene Motto unseres Herrn Bundeskanzlers und man darf annehmen, dass sich die beiden im koalitionsbildenden Prozess befindlichen Partner dem angeschlossen haben. Kein „Weiter wie bisher“ darf grundsätzlich einmal als ein erster positiver Schritt der Selbstreflexion gesehen werden, dem aber Taten folgen müssen. Und eine solche könnte sein, der Juniorpartnerin die Rolle der Kanzlerin zu übertragen. Dies wäre ein deutliches Signal an sie, nicht ein mehrheitsbeschaffendes Beiwagerl abgeben zu müssen.

Okay, ich höre schon die Aufschreie von wegen „Wählerwillen“. Doch was war, bzw. ist der Wählerwille? Ich versuche, die Vorteile darzulegen: Beide Mittelparteien haben den Nimbus der Verliererparteien und würden naturgemäß auch viel „Bisheriges“ einbringen. Dem könnten sie damit den Wind aus den Segeln nehmen und sich nebenbei regenerieren. Die dritte Mittelpartei erhebt zwar den Anspruch, Gewinnerin der Wahl zu sein, es hilft aber nichts, wenn niemand mit ihr will. Auch sie hätte Zeit, zu reflektieren, warum niemand mit ihr vor den politischen Traualtar schreiten möchte. Eine Frau als Bundeskanzlerin wäre ein wichtigeres Signal an die Frauen als die unbeliebte Genderei. Es wäre auch ein positives Signal an die strauchelnde Wirtschaft.

Bleiben zwei Fragen: Ob sie es kann? Es wäre anders, aber anders steht weder für besser noch für schlechter. Ob sie als Kanzlerin unser Land vertreten könnte? Von der Kompetenz, vom Auftreten und von der Integrität her: Ja, sie hat das Format und sie ist auch nicht vorbelastet. Bleibt noch das Thema Inhalte: Da wird jede Partei ohnehin Kompromisse eingehen müssen. Kein „Weiter wie bisher“ schließt auch ein, sich nicht mit aller Gewalt an Macht und Ämtern festklammern zu wollen. Wohin das führt, erleben wir gerade in der amerikanischen Tragikomödie mit. Bernhard Wallner, Possau

Die Koalitionswaage

Jetzt wird verhandelt: ÖVP, SPÖ und Neos versuchen, eine Regierung der konstruktiven Kräfte zu bilden. Budget, Gesundheit, Bildung, Migration, Integration, Teuerung, Klima und, ganz wichtig, die schwächelnde Wirtschaft: Es braucht innovative Lösungen, um alle genannten Punkte auf Spur zu bringen. Die Volkspartei steht im Fokus, und ihr Antrieb muss es sein, die im Wahlkampf gestellte Forderung der politischen Mitte umzusetzen. Babler wird beweisen müssen, dass sein politischer Horizont nicht in Traiskirchen endet und er für einen Neubeginn der Sozialpartnerschaft steht. Dazu kann er mit Traiskirchen als Vorbild für Migrations- und Integrationspolitik festgefahrene Strukturen aufbrechen und Kickl & Co. den Wind aus den Segeln nehmen. Viele Ideen scheinen die Neos in einem Brainstorming-Wettbewerb einfließen zu lassen.

Wunsch und Realität werden auf der Koalitionswaage abgewogen und richtig bewertet werden. Uns Österreicherinnen und Österreichern ist zu wünschen, dass die drei Parteien ihre unterschiedlichen Ansichten richtig austarieren und sich nicht von den eigenen Macht-Fantasien leiten lassen, sondern das gemeinsame Ganze in den Vordergrund stellen. Unser schönes Land hätte es sich verdient. Ferdinand Pay sen., Enns

Ein großer Wurf?

300 Personen, sieben Cluster, 34 Untergruppen sind daran beteiligt, eine Regierungsbildung zusammenzubringen. Das klingt verheißungsvoll. So viele Aufbauleute gab es wohl noch nie, nehme ich an. Aber es geht ja um die erste Dreierkoalition und um große Spannweiten zwischen den Koalitionsbereiten. Kein „Weiter wie bisher“ ist die Devise von allen. Das kann Optimismus nahelegen, dass daraus „ein großer Wurf“ wird, was auch notwendig scheint, wie Experten und Praktiker aus Wirtschaft und Sozialbereich betonen. Karl Brunner, Klagenfurt