Leserbriefe zu Titel: „Steirer-VP kritisiert Hofburg: So macht man Kickl zum Märtyrer“, 23. 10.

Hut ab vor der Entscheidung des Bundespräsidenten, Karl Nehammer mit der Bildung einer Bundesregierung zu beauftragen. Ich kann zwar die negativen Stimmen dazu aus dem Lager der SPÖ und ÖVP in der Steiermark verstehen. Hier finden schließlich Ende November Landtagswahlen statt und die politischen Verantwortlichen fürchten (zu Recht?), dass Wählerstimmen an die übergangene FPÖ wandern werden. Die Entscheidung basiert meiner Meinung nach in erster Linie auf der einstimmigen Ablehnung durch alle Parteien, mit der FPÖ unter Kickl als Kanzler eine Regierung zu bilden.

So bleiben uns Wochen sinnloser Gespräche und danach das Anhören scheinheiliger Ausflüchte, warum man trotzdem ..., erspart. Auch sollten Politiker, vor allem aus dem schwarzen Lager, Van der Bellen dafür dankbar sein, dass er sie davor bewahrt, trotz des Wahlversprechens eine Koalition mit der FPÖ einzugehen – siehe Niederösterreich – und so weiter Sympathien, und damit Wählerstimmen, bei der Bevölkerung zu verlieren. Sieglinde Cemernek, Leoben

Wahltaktik

Dass die ÖVP und die SPÖ in der Steiermark die Entscheidung des Bundespräsidenten ablehnen, begründen sie vordergründig damit, dass dadurch Kickl zum Märtyrer gemacht, ins „Schmollwinkerl“ gedrängt werde, und der Bundespräsident indirekte Wahlhilfe für die FPÖ mache. Für die beiden Parteien wäre es wahltaktisch natürlich günstiger, wenn Kickl mit der Regierungsbildung bis nach der Landtagswahl keine Fortschritte aufweisen könnte, dann könnte man darauf hinweisen, dass FPÖ-Stimmen eigentlich „verlorene“ Stimmen wären.

Van der Bellen nun vorzuwerfen, dass er quasi den Wählerwillen missachtet, ist unbegründet, weil sein Vorgehen gut begründet (und gesetzeskonform) ist. Nun liegt es an ÖVP und SPÖ, einen trag- und regierungsfähigen Kompromiss zu finden. Auch eine Regierung ohne dritten Partner scheint möglich, wenn beispielsweise zwei unabhängige (oder sogar von NEOS, Grünen) Minister/innen im Regierungsteam Platz fänden. Den Oppositionsparteien würde man damit ein Zeichen geben, dass man ihre Expertise schätzt, und man könnte sie auch einladen, bei umstrittenen Gesetzesvorhaben vorab ihre Meinung einzubringen. Mag. Wolfgang Ölzant, Edelschrott

Fehlentscheidungen

Bei der Umsetzung des Wahlergebnisses aus der letzten Nationalratswahl unterliefen Van der Bellen zwei strategische Fehler. Erstens beauftragt er nicht den eindeutigen Wahlsieger Herbert Kickl mit Sondierungsgesprächen, sondern lässt die drei Wahlsieger (FPÖ, ÖVP, SPÖ) einfach einmal „selbst sondieren“. Da diese Gespräche ohne konkretes Ergebnis verlaufen, wie zu erwarten war, beauftragt er zweitens Karl Nehammer, diese zu führen, obwohl er wissen musste, dass die FPÖ unter Kickl mit der Aufgabe, eine mehrheitliche Regierung zu finden, scheitern würde.

Hätte Van der Bellen bereits am Wahltag Kickl mit dem Führen von Sondierungsgesprächen beauftragt, stünde er heute als lachender Sieger in der Öffentlichkeit, sprich vor den Wählern, denn er hätte alles richtig gemacht. Jetzt beziehen sogar die Wahlverlierer, an der Spitze Landeshauptmann Drexler (ÖVP), eindeutig Stellung gegen die Vorgangsweise von Van der Bellen. Natürlich motivieren Drexler zu dieser Vorgehensweise andere Beweggründe, getragen von der großen Angst, bei der Landtagswahl im November den ersten Rang in der Steiermark an die FPÖ zu verlieren.

Demzufolge scheint aus meiner Sicht für den Bundespräsidenten die Zeit gekommen zu sein, über einen persönlichen Rücktritt nachzudenken. Die FPÖ sagt laut „danke“ für seine getroffenen strategischen Fehlentscheidungen. DI Dr. mont. Karl Haider, Leoben

Pläne durchkreuzt?

Ja, geschätzter Herr Landeshauptmann, es ist doch wirklich unerhört, dass Bundespräsident Van der Bellen noch vor der steirischen Landtagswahl Karl Nehammer mit Koalitionsgesprächen beauftragt und somit Ihre taktischen Überlegungen durchkreuzt. Die tatsächliche Unverfrorenheit, nämlich der mögliche Eintritt der ÖVP in Verhandlungen mit der FPÖ, wie in einigen Kreisen Ihrer Partei bereits offen gefordert – natürlich nur aus Verantwortung gegenüber dem Wähler – wird Ihnen wahrscheinlich wegen der kurzen verbleibenden Zeitspanne erspart bleiben.
Dr. Peter Klug, Graz

Wichtige Aufklärung

Anstatt Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten, wissen unser Landeshauptmann und sein Vize nichts Besseres, als die Entscheidung des Bundespräsidenten zu kritisieren und schlechtzureden. Es wird stimmen, dass die FPÖ jetzt das Opfer spielt, aber was wäre passiert, wenn Kickl bei einem eventuellen Auftrag gescheitert wäre, weil ja niemand mit ihm zusammenarbeiten will? Dann wären sie schon wieder das Opfer, weil keiner bei all den Machenschaften der FPÖ (die extreme Russlandnähe, die Beschimpfungen durch Kickl und die Sympathien für Neonazis und Identitäre) mitmachen will. Zugewinne lukriert die FPÖ nur durch die Unfähigkeit der anderen Politiker, richtige Aufklärung über die wahren Absichten der FPÖ zu leisten.
Gerhard Pilz, Graz

Verärgert

Viele Länder beneiden die Menschen in Österreich um ihr Recht, das Wahlrecht. Ich darf seit 1965 wählen (seit dem 21. Lebensjahr), aber die Entscheidung unseres Bundespräsidenten bestärkt mich in meiner Absicht, dass ich ab sofort an keiner Wahl mehr teilnehme. Wozu gehen wir wählen, wenn am Ende die ÖVP den Kanzler beansprucht? Siehe Schüssel: „Wenn ich Dritter werde, trete ich zurück“ und mithilfe der FPÖ wurde er Kanzler.

Jetzt wurde die ÖVP abgestraft, wurde Zweiter und was passiert? Mit einer Arroganz sondergleichen werden die Wähler ausgebootet und statt auf die Menschen im Lande wird auf die Parteienlandschaft geschaut. Ich bin frustriert und wahrscheinlich sind viele Mitmenschen meiner Meinung. Heribert Glatzhofer, Leibnitz