Pro & Kontra: „Soll die FPÖ unter Kickl in die Regierung einziehen?“ und Offen gesagt: „Am Pokertisch“, 6. 10.

Kickl kann nur gewinnen. Wenn er seiner Linie treu bleibt und sich Orbán als Vorbild nimmt, wird er irgendwann Kanzler werden. Aber nicht in der kommenden Legislaturperiode – höchstens die ÖVP fällt um. Van der Bellen hat die Grundpfeiler einer liberalen Demokratie dargelegt, wie etwa Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft. Über 70 Prozent der Wähler (mehr als 2/3) wollen diese Grundpfeiler auch weiterhin.

Orbán hat bewiesen, dass er, bis auf das Geld aus Brüssel, diese Werte in Ungarn mit Füßen aus dem Land getreten hat. Und in den FPÖ-Programmen sind diese Werte auch nicht wirklich zu finden. Trotzdem wird Kickl Kanzler. Er kann jetzt wie Donald Trump von einer gestohlenen Kanzlerschaft sprechen und sich aufs Volk berufen, das ihn wollte. Was laut Umfragen nicht stimmt. Aber er wird die 29 Prozent vorschieben und die neue Regierung ständig damit belasten und wieder die Arbeit schlechtreden. Es wird ein Sparpaket kommen müssen, das Kickl nicht beschließen muss, so wie er auch die Coronamaßnahmen nicht beschließen musste. Die Unzufriedenheit wird wieder ansteigen, obwohl die meisten auf sehr hohem Niveau jammern.

Dann kommt ein neuer Bundespräsident, und der kann dann durchaus Norbert Hofer heißen. Und bei der nächsten Nationalratswahl sind dann alle Voraussetzungen gegeben, dass Kickl Volkskanzler wird und sein undemokratisches Programm, à la Orbán umsetzen kann. Österreich wird sich dann wundern, was alles möglich ist, und die extrem rechten Parteien in Europa haben einen weiteren Helden, sehr zur Freude von Putin. Darum brauchen wir eine Regierung, die endlich die alten, verstaubten Strukturen aufbricht, damit die Säulen der Demokratie aufrechterhalten werden.
Ernst Schiretz, St. Radegund

Demos gegen die FPÖ

Wo finden sich die Antidemokraten in Österreich? Nicht in der FPÖ, sondern bei jenen Parteien, die eine Demonstration gegen die Beteiligung einer demokratisch auf den ersten Platz gewählten Partei organisieren. Sie wollen eine demokratische Entscheidung der Wähler einfach nicht akzeptieren. Ich habe keine Angst vor einer FPÖ-Regierungsbeteiligung, sondern ich habe Angst vor Parteien, die Demokratie verweigern und nur ihre eigenen Parteiinteressen in den Vordergrund stellen, und nun jeden Donnerstag die Menschen, welche von der Arbeit nach Hause wollen, mit den Demos massiv behindern. Menschen, die Steuern zahlen und sehen müssen, wie sie ihren Lebensunterhalt mit dem Wenigen, was ihnen die letzte Regierung noch gelassen hat, bestreiten können.
Hannes Loos, Purkersdorf

Bekannte Gesinnung

Schon seit geraumer Zeit frage ich mich, warum so viele Österreicher:innen an kollektiver Amnesie leiden, wenn es um die programmatischen Agenden der FPÖ geht? Warum geraten viele demokratiepolitisch höchst bedenkliche „Sager“ Kickls so leicht in Vergessenheit? Das für mich gefährlichste Statement war: „Ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht.“ Das sagte er als Innenminister (!). Nicht weniger problematisch waren die Pläne des Innenministeriums, die Kommunikation mit „kritischen Medien auf das nötigste Maß“ zu beschränken. Ein Frontalangriff auf die Medienfreiheit.

Die „Kicklschen Wortspiele“ sind einfach unerträglich. Mit seiner Forderung, „Flüchtlinge an einem Ort konzentriert zu halten“, assoziierten viele Menschen eine Anspielung auf Konzentrationslager. Er verspottete Festspielgäste als „Inzuchtpartie und Heuchler“. In einer Rede schmähte er unseren Bundespräsidenten wörtlich als „Mumie“ und „senil.“ Was ist von einer Partei zu halten, die international anerkannte Organisationen wie die EU, die Uno, die WHO und den Weltklimarat als Feindbilder darstellt? Nicht weniger übel wird mir, wenn Kickl Orbáns illiberale, autokratische Politik als Vorbild für Österreich darstellt. 

Die ÖVP muss kein Risiko eingehen, wie Winkler schreibt, sie muss nur zu ihrem vor der Wahl gegebenen Wort stehen: „Keine Koalition mit Herbert Kickl.“ Möge niemand retrospektiv behaupten, die Positionen und Gesinnung der FPÖ nicht gekannt zu haben.
DI (FH) Franz Josef Dorn, BED, St. Marein

Gelassenheit

Lautstarke Personen im Kulturbetrieb, die dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, sehen nach dieser Nationalratswahl den Untergang für Österreich. Nicht nur diesen wünsche ich dazu Gelassenheit, in Verbindung mit Kritikfähigkeit, ohne Schaum vor dem Mund.
Franz Fasching, Deutsch Goritz

Düstere Zukunft?

Bekommt Kickl den Regierungsbildungsauftrag und geht eine Koalition nicht auf, dann wird er dem möglichen Partner sofort die Schuld zuweisen, die Verhandlungen nicht ernst genommen zu haben, selbst wenn Kickl aufgrund seiner Forderungen eine Koalition verhindert hat. Sollte es dann zu einer Dreierkoalition kommen, dann gehen die ungustiösen Angriffe im Nationalrat fünf Jahre weiter. Danach übernimmt die FPÖ Justiz, Inneres, Umwelt, Militär und Äußeres. Was das bedeutet, möchte ich nicht einmal andenken!
Ing. Wolfgang Eberl, Graz

Orbánisierung

Für alle, die mit der Warnung vor einer „Orbánisierung Österreichs“ nichts anfangen können: Ungarn hat eine Souveränitäts-Schutzbehörde eingesetzt. Diese kann ohne richterlichen Beschluss in Ermittlungen anderer Behörden eingreifen. Sie kann auch ohne Rechtsmittel und ohne Kontrolle sensible Daten von jedem und jeder anfordern. Das „Souveränitätsgesetz“ ist derart schwammig formuliert, dass sich theoretisch jeder strafbar macht, der sich politisch engagiert. Dieses Gesetz ermöglicht es der Regierung, gegen Kritiker_innen vorzugehen, um sie mundtot zu machen. 

Wollen wir das wirklich auch für Österreich? Genau das würde uns mit den Orbán-Freunden der FPÖ nämlich blühen, wenn sie an der Regierung sind. Man erinnere sich nur an die FPÖ-Forderung nach einer Meldestelle gegen „politisierende Lehrer“. Erika Beaudin-Gansl, Gratwein-Straßengel

Demokratieverständnis

Herbert Kickl hat an die anderen Parteien appelliert, das demokratisch zustande gekommene Wahlergebnis zu respektieren und somit den Anspruch der FPÖ untermauert, die Regierung bilden zu wollen. Auch hat er dabei als stimmenstärkste Partei den Kanzleranspruch für sich gestellt. Alles andere wäre „unmoralisch“ und wenn Verlierer eine Regierung bilden würden, wäre dies ein Schlag ins Gesicht der Wähler. Aufgefallen ist mir dabei der Gedächtnisverlust von Kickl, weil die FPÖ seinerzeit einmal als zweitstärkste Partei den Listenführer der drittstärksten Partei zum Kanzler gemacht hat. Ist „unmoralisches Tun“ unterschiedlich zu bewerten?

Sollte doch mit anderen parlamentarischen Mehrheiten am Ende der Regierungsbildung eine solche angelobt werden und diese widmet sich den brennenden Themen Migration, Gesundheit, Bildung und Teuerung wie bisher nur mit Blabla und nicht mit Taten, die von der Bevölkerung auch als solche wahrgenommen werden, wird die FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl wohl an 40-Prozent-Stimmenanteil kratzen; zu befürchten ist, dass eine solche nächste Legislaturperiode aufgrund unterschiedlicher Wichtigkeiten und Egoismen relativ kurze Lebenszeit haben wird.
Werner Grüner, Leoben