Leserbriefe zum Essay „Euer Wille geschehe?“, 15. 9.

Die Analyse von Peter Strasser spiegelt eine tiefe Verunsicherung wider, die in vielen westlichen Demokratien zu spüren ist, und stellt drängende Fragen nach Identität und Gemeinschaft. Die erwähnte Müdigkeit gegenüber Freiheit und Wohlstand deutet darauf hin, dass materielle Sicherheit allein nicht ausreicht, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu erzeugen. Es scheint, als wäre der Verlust eines gemeinsamen Heimatgefühls ein Kernproblem, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht. Diese Entfremdung führt zu einer Sehnsucht nach klaren Strukturen und Identifikationsfiguren, die jedoch oft in populistischen ‚Einfachen-Ein-Satz‘ Angeboten münden, welche nicht nachhaltig beziehungsweise sehr oft auch nicht umsetzbar sind.

Am Ende bleibt die Frage, ob es nicht besser wäre, unsere Vorstellung von „Heimat“ und Gemeinschaft neu zu denken – in einer Weise, die alle einschließt und echten Zusammenhalt ermöglicht. Dazu bräuchte es aber eine mutige Politik und eine Gesellschaft, deren Horizont weit über den Tellerrand hinausgeht.
Reinhart Nunner, Semriach

Dankbarkeit statt Stolz

Beim Lesen des Essays von Peter Strasser wird‘s mir ein bisserl schlecht. Der herbeigesehnte „Stolz, Österreicher zu sein“ – ist das nicht der Kern des Übels? Kein vernünftiger Mensch ist stolz auf ein Geschenk, das er ohne Leistung erhalten hat. Man ist bestenfalls dankbar. Warum ist das bei der Herkunft anders? Als Österreicher sollte man sich fragen „Was war mei‘ Leistung“, wenn es um den Lebensmittelpunkt geht. Wir sollten dankbar sein, in so eine privilegierte Position geboren worden zu sein. Und wenn man „Stolz“ mit „Dankbarkeit“ tauscht, dann fällt es vielleicht auch leichter, zu erkennen, dass dieses Glück eine Verpflichtung mit sich bringt, sich um Mitmenschen mit etwas weniger Glück auch zu kümmern. Sowohl mit Menschen mit geringeren Einkommen (Zeit, aufzuwachen, liebe ÖVP), als auch mit jenen in schwierigen Lebenslagen – seien es Menschen mit Pflegebedarf oder solche, deren Zuhause durch Krieg zerstört wurde.

Eine Partei, die „all das Geld nur zu uns“ und zugleich christliche Zitate verwendet, sollte sich was schämen. Und diejenigen, die solche Parteien wählen, sollten ernsthaft darüber nachdenken, ob sie unter dieser Partei nicht selbst bald auf der „Fahndungsliste“ stehen könnten.
Ralf Steinhäusser, Graz

Der Steuermann

Auf einem Schiff sind die Aufgaben klar verteilt. Jeder weiß seine Expertise richtig einzusetzen. Damit das Schiff und die Besatzung das geplante Ziel erreichen, bestimmt der Kapitän den Kurs, der für den Steuermann richtungsweisend ist. In der Politik, wo immer davon phantasiert wird, dass wir alle in einem Boot sitzen, ist das völlig anders: Jeder will steuern, aber niemand kennt den Kurs. Es gibt nur noch Rudergänger, die auf einen Steuerbefehl warten. Der Mannschaft ist es – wie beim Steuermann von Franz Kafka – ganz egal, wer am Steuer steht. Zusammenhalten und ihrem Steuermann zu helfen, liegt ihnen fern. So wird das Steuer von Wahl zu Wahl von irgendwelchen „Piraten“ übernommen, die steuerungsunfähig durch die raue See schlingern.
Peter Baumgartner, St. Veit

Akzeptanz

Da werden wir wochen-, ja, monatelang vor der Wahl mit mehr oder minder intelligenten Wahlprogrammen beschallt. Strahlend gelaunte Spitzenkandidaten laufen schulterklopfend, händeschüttelnd durchs Land und halten vielversprechende Wahlreden. Wählt mich, ich bin euer Heilsbringer! Wehe, eine kritische Frage fällt, da bildet sich sofort ein Ring von Wahlhelfern um die Glorreichen.

Dann kommt der Wahltag, der Bürger nimmt sein demokratisches Recht wahr und schreitet zur Urne, aber – na sowas –, das Ergebnis entspricht nicht den Erwartungen unserer Politelite, das undankbare Volk hat andere Vorstellungen! Was kommt nach der ersten Schockstarre? Jede Partei erklärt sich als Siegerin und an den gefassten Gesichtern erkennt man, dass in ersten Sondierungsgesprächen bereits ausgemauschelt wurde, dass man sich vom Plebs doch nicht in die Suppe spucken lässt, man wird sich‘s richten und weitermachen wie gehabt ….

So läuft’s seit vielen Jahren! Dem immer größer werdenden politischen Gespinst in unserem Lande sei daher gesagt: Die Stimmabgabe des Souveräns bei einer Wahl ist der Auftrag an die gut bezahlten Volksvertreter, jene Versprechen zu halten, mit denen sie vor der Wahl vollmundig auf Stimmenfang gehen, wir möchten endlich Taten sehen. Und dieser Wille des Volkes ist von der Politik und auch von unserem weisen Staatsoberhaupt kommentarlos und rasch zu erfüllen.
Brigitte Nagelschmied, St. Veit

Wahl ohne Auswahl

Die Wahl bei der Wahl hält sich in bescheidenen Grenzen. Dass wir uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus der Religion des „Gierismus“ (genannt Turbo-Kapitalismus) mit der vorhandenen Parteienlandschaft befreien können, halte ich für eine Illusion. Die globale Abhängigkeit entpuppt sich immer mehr als Dreifaltigkeit aus Kriegsministerium, Seuchenministerium, Klimaministerium und treibt uns vor sich her. Mit KI und Kryptowährung ins neue Zeitalter … Nicht mehr der Weg, sondern die Geschwindigkeit wird zum Ziel, und die Aufprallenergie erhöht sich mit dem Quadrat der Geschwindigkeit!
Max Wurmitzer, Himmelberg

Mensch im Vordergrund

Zur Idee einer „Politik der Mitte“: Sie bedeutet, dass alle Parteien ein ähnliches Programm haben und jeglicher Diskurs verschwimmt. Andererseits kann gerade der Unterschied zwischen den politischen Parteien in den Koalitionsverhandlungen zu einem ausgewogeneren Programm führen. Ich, bald siebzig, der immer noch seine Kirchensteuer bezahlt und in seiner Freizeit versucht, bei verschiedenen sozialen Organisationen mitzuwirken, bekenne mich zu einer Politik, die Empathie und Wertschätzung gegenüber allen Menschen in den Vordergrund stellt.
Ferdinand Pay sen., Enns