Leserbrief zum Leitartikel „Alarmismus ist kein Konzept“ und zu „Jugendgewalt: Wie groß ist das Problem?“, 22. 5.

Ganz egal, ob die Gewalt an Schulen explodiert oder nicht, ob es dafür „mildernde Umstände“ gibt oder nicht, sollten gegen jegliche Form der Gewalt schon bei Kindern Maßnahmen ergriffen und Ursachenforschung betrieben werden. Übervolle Klassen und das „Migrationsproblem“ in größeren Städten (viele MigrantInnen bringen leider Gewalterfahrungen mit) bzw. der Lehrermangel spielen eine Rolle.

Ich beobachte aber vor allem, dass Gewalt zunehmend gesellschaftsfähig geworden ist: zum Beispiel durch die Dauerpräsenz in den sozialen Medien, aber auch in TV und Streamingdiensten. Beim Durchzappen fällt auf, es gibt auch im ORF kaum mehr Sendungen, die ohne Gewaltexzesse auskommen, und dies auch schon im Vorabend bzw. sogar im Kinderprogramm.

Gewalt, Mobbing und Psychoterror sind allgegenwärtig, sogar in der Politik wird sie uns tagtäglich vorgelebt. Warum also wundern wir uns noch? 
Dr. Stefanie Vavti, Klagenfurt

Weitere Leserbriefe zum Thema

Im Sinkflug

Lange hatte man uns um das österreichische Schulsystem beneidet. Doch schleichend kam Sand ins Getriebe. Die Reaktionen waren politisch eher abwartend. Man versucht da und dort, mit einer Idee pädagogisch und organisatorisch zu punkten, doch viel ist nicht passiert. Irgendwo im Kreislauf der pädagogischen Möglichkeiten muss ein radikaler Schnitt gesetzt werden. Wohin brachte uns bisher die verlängerte und kopflastige Ausbildung unserer Pädagogen? Wo ist die Erkenntnis (empirische Erhebungen sprechen seit Jahren eine klare Sprache), dass der musische Bereich, der eigentlich fast ganz vergessen wird, wesentlich zur Entwicklung des jungen Menschen beiträgt? Welche Hilfen gibt man jungen Pädagogen, die mit der Distanzlosigkeit vieler Schüler nicht zurechtkommen? Unser Minister träumt von den Quereinsteigern. Wie wird überprüft, ob diese und auch andere Studenten das pädagogische Geschick mitbringen? Lehren ist leicht, aber Führen schon wesentlich schwieriger.

In den Ländern sollten ehest sogenannte Schulgipfel stattfinden, in denen offen über die vielen Probleme in der Schule (auch im Elternhaus) diskutiert werden sollte und ein Katalog von Maßnahmen zur Verbesserung der derzeitigen Situation erstellt wird. Einen Versuch wäre es wert.
Wolfgang Stern, Graz

Der Zeitpunkt ist jetzt

Der Kapitalismus hat uns alle fest im Griff und treibt mitunter seltsame Blüten. Das Gute daran ist: Wir haben keine Zeit, darüber nachzudenken, weil wir zu sehr mit Geld scheffeln und ausgeben beschäftigt sind. Das Schlechte daran: Die Leidtragenden sind primär Kinder und Jugendliche, die zusehends wohlstandsverwahrlosen und zudem ungebildet das Bildungssystem verlassen. Aber auch alten und kranken Menschen geht es zusehends schlechter in einem Land, das angeblich zu den reichsten der Welt gehört.

Nein, jetzt folgt kein Shitstorm über Lehrende und Pflegende. Ich weiß, dass die meisten tun, was in ihrer Macht steht und viele ständig nahe am Burnout dahinschrammen. Lehrende müssen in immer weniger Zeit immer mehr sinnentleerte Inhalte in Schülerinnen und Schüler „hineinstopfen“, Pflegende in immer kürzerer Zeit die Bedürfnisse alter und/oder kranker Menschen erledigen. Kinder werden so früh wie möglich in öffentliche Betreuungsinstitutionen gegeben, in denen sie sich mit 25 anderen Kindern um die Aufmerksamkeit der BetreuerInnen herumschlagen oder still in einer Ecke sitzen. Es existieren bereits Studien, die auf die Gefahr hinweisen, dass Kinder, die permanent fremdbetreut werden, traumatisiert werden können. Es folgt der Wechsel in das Schulsystem. Und auch das Schulsystem verkommt immer mehr zu einer öffentlichen, kostenlosen Betreuungsinstitution, in der das Erlernen von Kulturtechniken durch kopierte Zettel, Internet-Links (siehe: KI) und bunt bebilderte Lehrmittel stattfindet. Also gar nicht. Von Bildung weit und breit keine Spur. Für Bildung bleibt keine Zeit. Ergo: Für Kinder bleibt keine Zeit.

Wir befinden uns im dunklen, neoindustriellen Zeitalter, in dem Heranwachsende und alte Menschen abgeschoben werden. Die einen sind noch nicht produktiv und anderen sind es nicht mehr. Ich denke, dass der Zeitpunkt, an dem ein Umdenken stattfinden muss, JETZT wäre.
Andrea Obergrießnig, Teffen

Damals und heute

Ich war über 40 Jahre lang Lehrerin für Jugendliche ab zehn Jahren. Natürlich gab es immer wieder mehr oder weniger gewaltsame Übergriffe von Schülerinnen und Schülern untereinander. Wie wurde damit umgegangen? Man hat die Jugendlichen intensiv pädagogisch betreut, hat zumindest an meiner Schule das Fach „Soziales Lernen“ und eine Gruppe „kollegiale Mediation“ eingeführt, hat Eltern in die Erziehungsmaßnahmen eingebunden und nur im Extremfall wurde die Polizei eingeschaltet. Eltern hatten Vertrauen in die erzieherische Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer und in dieser Zusammenarbeit konnten die Jugendlichen wieder auf den richtigen Weg gebracht werden.

In keiner Zeitung konnte man damals lesen, dass ein Schüler Drohungen gegen andere Jugendliche und Lehrer aussprach und kein Hinweis auf eine Verwirklichung dieser Drohungen gefunden werden konnte. Das wurde von den Erziehenden und auch von der eventuell hinzugezogenen Polizei geregelt, ohne dass der Eindruck verstärkt wurde, dass in unseren Schulen die Gewalt überbordend zunehmen würde, was in manchen Medien reißerisch behauptet wird. Wie in Ihrem Leitartikel dankenswerterweise anklingt: Eine Statistik ist immer so gut wie ihre Auslegung.
Irene Taucher, Graz

Generation Z

Der US-Sozialwissenschaftler Jonathan Haidt hat ein Buch über die Generation Z geschrieben. Er warnt darin, dass die hohe Smartphone- und Social-Media-Nutzung dieser Generation nicht nur zu veränderten Gehirnen führe, sondern ganze Demokratien ins Wanken bringen werde. Haidt ist Professor an der New York University.

Im Juni erscheint nun sein Buch in deutscher Sprache: „Generation Angst: Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen“, das in den USA ein New York Times Nr. 1-Bestseller wurde. „Die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist, die menschliche Psyche im Umgang mit digitalen Geräten zu retten“. Ich finde, das ist eine Pflichtlektüre für alle Eltern und vor allem Großeltern, die noch über den Tellerrand der Social Media denken können und wollen.
Walter Koren, Kirchdorf