Karriereleiter hinauf oder hinab? Reichtum erzeugt oder verloren? Bedeutung für die Familiengeschichte? Ideale verwirklicht oder aufgegeben? Großes geschaffen oder nicht?
Es gibt viele Ansätze, um das Leben von Menschen zu beurteilen. Eine andere Möglichkeit ist, das Leben als Abfolge von Gemeinschaften zu sehen, in denen Menschen leben und gelebt haben. Diese Gemeinschaften können kurz oder lang bestehen, von Zweckdenken oder großen Gefühlen getragen werden, durch freien Willen oder Not zustande kommen.
Mit großer Sicherheit besteht menschliche Existenz aus einer Mischung all dieser verschiedenen Gemeinschaften. So wie bei Claudia Buchleitner.
Vor ihrer wichtigsten Beziehung – der innigen, über ein Vierteljahrhundert dauernden und von einer aggressiven Leukämie dramatisch beendeten Partnerschaft mit ihrem Mann – „hatte ich eine glückliche Kindheit bei meinen Großeltern. Wir haben viel gemeinsam gemacht. Die beiden haben auch mein Gefühl für Religiosität geweckt“.
Über die nächste Phase in der Ursprungsfamilie will die Seebodenerin nicht sprechen. Eher schon über ihr Jus-Studium in Salzburg, „wo der Dom für mich zur Kraftquelle wurde, in den ich mich oft zurückzog“.
Während ihrer Uni-Zeit lernte sie Kurt kennen, mit dem eine Lebensgemeinschaft begann, die 28 Jahre währte, die letzten zwölf als Ehepaar. „Wir sind gern und viel gereist, in die Provence, nach Korsika, in den Süden. Oft mit dem Wohnmobil, und wenn man lange so nah zusammenlebt, muss man sich gut verstehen. Das war eine innige Phase, die uns noch enger verbunden hat.“ Das, sagt Claudia Buchleitner, sei ihre glücklichste Zeit gewesen.
„Umso schmerzvoller war sein Tod.“ Sein Kampf nach der Leukämie-Diagnose dauerte zwei Jahre; 18 Monate davon musste er im Krankenhaus verbringen. „Ich war fast jeden Tag bei ihm, um ihn aufzumuntern und ihm das Gefühl von Alltag zu geben – gemeinsame Mahlzeiten, zusammen fernsehen.“
Und wieder entstand eine neue Gemeinschaft: „Ärzte und Pflegepersonal wurden zu einer Art Familie. Wir haben uns oft gesehen und miteinander geredet, wie es einem geht, was es Neues gibt. Krankheiten waren hier fast nie ein Thema“ – eine Gemeinschaft, die Normalität vermittelte.
„Ich habe immer gehofft, dass mein Mann den Krebs besiegt. Er war so sportlich und voller Lebensfreude.“ Doch als er, der früher so gern mit dem Motorrad unterwegs war, zu schwach wurde, um die 100 Meter ums Haus zu gehen, und nur noch liegen konnte, gab er sich auf und starb. Claudia Buchleitner war bei ihm.
„Ich war erschüttert und enttäuscht, auch von Gott, nach all den Gebeten und Beistand durch Priester.“ Nach dem Ende dieser Lebensgemeinschaft musste sie gezwungenermaßen eine Gemeinschaft mit sich selbst eingehen, einsam, traurig, wie gelähmt. „In mir war eine große Leere. Das ging so weit, dass ich nicht mehr leben wollte.“ Das war vor vier Jahren.
Und wieder war es eine neue Gemeinschaft, die ihrem Leben eine Wende gab. „Unmittelbar vor einer Messe für meinen verstorbenen Mann fragte mich der Klagenfurter Dompfarrer, ob ich nicht die Lesung halten wolle. Ohne nachzudenken sagte ich ja und wurde dann schrecklich nervös, weil ich so etwas nicht gewohnt war. Doch während der Lesung merkte ich, dass mir das guttat, dass es für einige Momente nicht um meine Traurigkeit ging, sondern um die Liturgie.“
Das war der erste Schritt auf dem Weg zur Gemeinschaft des Doms. „In der Kirche gibt es immer viel zu tun und es heißt ,Wer Lust und Zeit hat, kommt und hilft.‘ Mit Aktivitäten konnte ich meine Trauer leichter bewältigen. So bin ich in das Dom-Team hinein- und mit ihm zusammengewachsen.“ Derzeit nimmt sie Sprachunterricht, damit sie Bibeltexte und Fürbitten noch präziser vortragen kann.
Wie stützend „Gemeinschaft“ sein kann, kann Claudia Buchleitner anhand einiger Stichwörter zeigen. Gemeinschaft und Advent im Zeichen von Corona: „In der Adventzeit will niemand allein sein und leidet besonders unter der Einsamkeit. Es gibt zwar jetzt keine gemeinsamen Messen, stattdessen werden Live-Gottesdienste online gestreamt. Weil die Leute in den sozialen Medien kommunizieren können, entsteht so doch eine zumindest virtuelle Gemeinschaft.“ Eines wird klar: Das Bedürfnis nach Gemeinschaft ist so stark, dass es zur Erfüllung sogar die widrigsten Hindernisse überwindet.
Gemeinschaft und Tod: „Seit vier Jahren betreue ich im Klinikum Klagenfurt Schwerstkranke in der Geriatrie – bis in den Tod. Wir bringen sie mit Rollator, im Rollstuhl oder Bett zur Messe in die Krankenhauskapelle. Sie freuen sich, wenn wir ihnen ein Stück Alltag bringen.“
Gemeinschaft ist also auch ein Geben und Nehmen, aber nicht mit dem Blick auf Gewinn, sondern auf Mitgefühl. Selbst das Gegenteil ist erhellend: die Abwesenheit von Gemeinschaft oder die selbst gewählte Gemeinschaft nur mit sich selbst, die man nicht mit Einsamkeit verwechseln sollte. Claudia Buchleitner: „Wer einen gefestigten Alltag hat, braucht manchmal Abstand, um zur Ruhe zu kommen.“
Sie hat erfahren und im Krankenhaus bestätigt bekommen, dass viele zum unmittelbaren Sterben einen Moment wählen, in dem Angehörige und Pfleger kurz das Zimmer verlassen haben. Vielleicht brauchen sie das, um sich auf die letzte Gemeinschaft mit dem Unbegreifbaren und Unendlichen einzulassen – dem Tod. Und vielleicht ist ein Leben dann gelungen, wenn man in jeder Lebensphase die Gemeinschaft findet, die einem guttut.
Jochen Bendele