Die Dosenführung war ungelenk, aber der Witz funktioniert ohnehin über die Sprache: „Merry Crisis and a happy new Fear“, steht in roter Schrift auf die Wand gesprayt. Eine Abwandlung der englischen Glückwunschformel, die zwischen Schwarzmalerei und Zukunftsängsten pendelt. Seit Tagen geistert das Bild, das während der Finanzkrise 2008 in Athen aufgenommen wurde, wieder durchs Netz, als Vorbote auf das, was 2021 kommen mag.
Irgendwie ist die Resignation ja nachvollziehbar. Die Corona-Pandemie brachte eine Gesundheits- und Wirtschaftskrise, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Die Relativitätstheorie von Nähe und Abstand musste neu geschrieben werden. Daher ist es bisweilen ratsam, das Glück eher in der Zukunft als in der Vergangenheit zu suchen. So wird 2021 nicht nur zwölf Monate haben, sondern vermag auch mit zwölf Gründen Vorfreude zu wecken.
1. Die Impfung. Sie wird die Erinnerung an das letzte Jahr nicht löschen, uns nicht in jene Zeit zurückversetzen, in der Corona das spanische Wort für Krone war. Oder ein Bier. Aber sie wird die Sorge um Alte und Risikogruppen mindern, diese aus der Einsamkeit holen. Und: Sie wird dafür sorgen, dass man sich mit Ängsten von Impfskeptikern beschäftigt. Ihnen erklärt, dass in den Dosen mehr als 20 Jahre Forschung stecken und kein Impfstoff je an so vielen Menschen erprobt wurde.
2. Die Grenzbalken werden wieder hochgehen! Zehn Tage Quarantäne für eine Pizza in Tarvis? Was derzeit Realität ist, sollte mit einer injizierten Herdenimmunität Vergangenheit sein. Dann holt man sich beim Party-Urlaub auf der Insel Pag höchstens wieder Herpes-Viren. Und: Vielleicht beginnen mit der neuen Freiheit ja ein paar Menschen zu reisen statt Urlaub zu machen und lassen sich auf Land und Kultur ein.
3. Die Rückkehr auf die Bühne. „Kultur ist mehr als die Behübschung des Feierabends“, merkte der Komponist Thomas Daniel Schlee einst launig an. Die Absenz der Musiker und Bühnenschauspieler, ihr Abdriften in virtuelle Räume, wird 2021 ein Ende haben – und zwar nicht nur für jenes Promill, das sich Festspielkarten leisten kann. Wehmut: Auf Stadion-Rocker wird man wohl noch länger warten müssen. Vielleicht nutzen AC/DC die Zeit ja, um ein Album zu machen, das es auch wert ist, live vorgestellt zu werden.
4. Donald wird wieder eine Comic-Figur. Zumindest ein Teil der Geopolitik wird mit Joe Biden als US-Präsident wieder berechenbar. Mit China als größte Wirtschaftsmacht der Welt und Russland unter Vladimir Putin bleiben ohnehin genug Sorgen.
5. Man hat etwas über die Schule gelernt. Pisa, die Zentralisierung der Matura, Unterricht als Entertainment: Oft wurden Lehrer in den vergangenen Jahren gescholten, nicht immer zu Recht. Das Jahr des Homeschooling hat Eltern lernen lassen, was Pädagogen alles leisten. Bei der Rückkehr ins Klassenzimmer wird daheim Demut und Dankbarkeit zurückbleiben.
6. Das Homeoffice etabliert sich als Arbeitsplatz. 2020 hat gezeigt, dass Leistung und Kreativität auch Bestandteil des Homeoffice sind, jetzt will die Bundesregierung die Not-Lösungen aus dem Lockdown in klare Regeln fassen. Und an die Adresse der Zweifler: Tachinieren kann man auch im Büro.
7. Der Brexit-Deal ist durch! Auch wenn es – individuell wie institutionell – Einschnitte bedeutet: Eine klare Trennung hat den Vorteil der Orientierung für alle Beteiligten. Zudem zeigt die EU als Institutions den übrigen Seperatisten die Grenzen des Zumutbaren auf.
8. Der Kampf gegen Giganten. Wenn man schon die guten Seiten der EU lobt, dann auch den Digital Service Act (Gesetz über digitale Dienste) und den Digital Markets Act (Gesetz über digitale Märkte) die 2021 vorangetrieben werden. Sie sind nicht weniger als der Versuch, bei den Internet-Giganten Google, Apple und Facebook Fairness für die User und Bürger zu erzwingen.
9. Statt Applaus gibt es Geld für Pflegekräfte. Mit salbungsvollen Reden kann man keine Miete zahlen, mit einem fairen Einkommen schon. 2021 startet die Pflegereform in Österreich – was höchst an der Zeit ist. Immerhin fehlen bis 2030 rund 100.000 Pflegekräfte im Land, im Schnitt bleiben Menschen aber nur sechs Jahre im Beruf. Neben einer Reform der Aufgaben und Einkommen soll es endlich um die Würde der Gepflegten gehen. Hätte das vor Corona irgendwer so offen ausgesprochen?
10. Die Zeit der digitalen Kellerpartys ist vorbei. Wenn das Wirts- wieder zum Gasthaus wird, kehrt auch die Geselligkeit im Land zurück. Und vielleicht wird dann am Stammtisch wieder gediegen gestritten, statt auf Social Media schrill beflegelt.
11. Man kann sich wieder um den Klimaschutz kümmern. Stimmt, da gab es ja ein Problem: Mit der Erderwärmung, den Treibhausgasen, mit dem Boden- und Ressourcenverbrauch, mit dem Ansteigen der Ozeane, damit, dass ganze Völker auf der Flucht sind, weil der Raubbau an der Natur ihnen die Lebensgrundlage entzieht. All diese Probleme hat man 2020 nicht gelöst, man hat ihnen nur die Priorität entzogen. Zeit, das wieder zu ändern und etwas zu ändern.
12. Es bleibt die Erinnerung an das Jahr 2020. „Es war nicht alles schlecht im Jahr 2020!“ Man hat – wenngleich oft nur für eine kurze Phase – Entschleunigung erfahren; im eingeschränkten Radius die Lebensqualität des nächsten Umfelds neu vermessen; oder im Schmerz erfahren, was einem der Betrauerte bedeutet hat. Auch das ist der Zauber eines Neuen Jahres: Es lässt einen versöhnlich werden mit dem alten.