Treuherzig, zutraulich, wissbegierig - Hunde werden gerne die „besten Freunde des Menschen“ genannt. Da sind Nachrichten von Bissattacken, wie die aktuellste aus Oberösterreich, bei der ein Schäferhundmischling einen Chihuahua getötet und ein Kind verletzt hat, tragisch und kratzen am Image des treuen Begleiters des Menschen.

Beißunfälle mit Hunden tauchen immer wieder in den Medien auf - teilweise sogar mit tödlichem Ausgang, wie zum Beispiel im Oktober letzten Jahres in Oberösterreich als eine Joggerin von einem American Staffordshire getötet wurde.

Hundebiss als letzter Ausweg?

Die Ursachen für Beißattacken können vielfältig sein, sagt die tierschutzqualifizierte Hundetrainerin und Verhaltensbiologin Renate Ploder aus Graz: „Ein Hund kann auch zubeißen, wenn er plötzlich einen Schmerz erfährt und aus dem Affekt heraus reagiert“. Grundsätzlich ist das Beißen für den Hund oftmals der letzte Ausweg, um zu zeigen, dass er sich in einem Konflikt befindet. Der Weg zum Biss bzw. alle Verhaltensweisen, die vor dem Beißen auftauchen, nennt Ploder die „Eskalationskaskade“.

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Renate Ploder, tierschutzqualifizierte Hundetrainerin und Verhaltensbiologin
Renate Ploder, tierschutzqualifizierte Hundetrainerin und Verhaltensbiologin © Sabine Fallend - Fallend.at

Signale im Kontext sehen

Darunter versteht man, dass ein Hund, der sich in einer Konfliktsituation befindet, zu Beginn mit leichten Signalen zeigt, dass er sich in dieser Situation unwohl fühlt. Er kommuniziert dem Gegenüber, dass der derzeitige Moment nicht angenehm ist. Diese Signale, auch bekannt als „Beschwichtigungssignale“, sind zu Beginn harmlos und zeigen sich, indem sich zum Beispiel der Hund über die Mundwinkel leckt oder gezielt wegschaut. „Es heißt jedoch nicht automatisch, dass der Hund gestresst ist, nur weil er sich über die Mundwinkel leckt. Diese Signale sollen immer im Kontext der Situation gesehen werden“, sagt Ploder. So kann Gähnen, Müdigkeit, aber auch Stress bedeuten. Je stressiger die Situation wird, desto stärker reagiert der Hund. Er möchte vielleicht aus der Situation verschwinden, knurrt oder zeigt die Zähne.

Von der leichten Reaktion bis zum Biss: Die Stufen der Eskalationskaskade
Von der leichten Reaktion bis zum Biss: Die Stufen der Eskalationskaskade © KLZ / Infografik Kleine Zeitung

Wenn der Hund öfter in Stresssituationen gerät und wiederholt für Zähne zeigen oder Knurren gemaßregelt wird, besteht die Gefahr, dass der Hund Stufen der Eskalationskaskade überspringt und ohne Vorwarnung zubeißt. „Da mildere Kommunikationssignale, wie zum Beispiel Knurren, wiederholt den Konflikt nicht auflösen konnten oder die Situation vielleicht sogar verschlimmert wurde, weil der Hund geschimpft wurde, lernt der Hund, diese Signale aus seinem Verhaltensrepertoire zu streichen“, sagt Ploder und plädiert dafür, dass man Hunden das Knurren nicht abtrainieren soll. „Es ist eigentlich ein Segen, wenn ein Hund knurrt. Weil das ist Teil seiner Kommunikation, es bedeutet: ‚Ich brauche Distanz‘“, sagt sie.

Hundebiss als letzter Ausweg? Kaskade geht auch rückwärts

Das Gute an dieser Thematik: Die Eskalationskaskade ist nichts Fixes und funktioniert auch in die andere Richtung. Das heißt, wenn die Stressursache verschwindet, reguliert sich der Hund nach und nach wieder in den Entspannungszustand. „Manchmal brauchen die Hunde dafür auch aktive und rücksichtsvolle Unterstützung ihrer Bezugspersonen“, sagt Ploder.

Von den angesprochenen Beschwichtigungssignalen gibt es einige. Nicht-Hundebesitzer können sich daran orientieren, damit sie einschätzen können, wann sie brenzligen Situationen potenziell schon früh aus dem Weg gehen können.

Kein Kuscheltier

Grundsätzlich gilt, dass einige Hunde zwar gerne kuscheln und auch Zuneigung zeigen, sie sind jedoch keine Kuscheltiere, was vor allem in Haushalten mit Kindern beherzigt werden sollte. „Wenn ein Hund Kontakt möchte, dann kann man gerne mit ihm interagieren. Aber wenn er schläft oder frisst, dann soll man ihn in Ruhe lassen“, sagt Ploder. Hunde brauchen nämlich viel Ruhezeit, ein ausgewachsenes Tier hat ein Ruhebedürfnis von bis zu 20 Stunden pro Tag. Daher ist es auch wichtig, dem Hund einen ausgezeichneten Ruheort zu geben.

Wenn man mit fremden Hunden in Kontakt kommt, sollte man sich selbst auch ruhig verhalten und nicht schreiend herumrennen. Weitere Tipps sind ebenso, sich nicht über den Hund zu beugen und ihn nicht direkt anzustarren.

Für den Alltag kann man sich merken: Im Zweifel Abstand halten und auf die Signale des Hundes achten. Und wenn man mit dem Hund interagieren möchte, zuerst den Besitzer fragen. Möglicherweise können dadurch ungewollte oder gefährliche Situationen vermieden werden.