Am 8. März ist Weltfrauentag, der inzwischen unter dem inklusiveren Begriff "feministischer Kampftag" bekannt ist. Halten Sie ihn für sinnvoll oder laufen Frauen dadurch Gefahr, dass ihnen der Vorwurf gemacht werden kann, sie würden die Aufmerksamkeit auf sich ziehen?
RAPHAELA SCHARF: Grundsätzlich ist es gut, einen Tag zu haben, an dem die Aufmerksamkeit auf Frauen gerichtet wird. Denn dann wird gezielt darüber gesprochen, dass Frauen immer noch nicht die gleichen Rechte haben, in der Pension vermehrt armutsgefährdet sind und viel mehr Betreuungsarbeit leisten als Männer.
In Sachen Gender-Pay-Gap befindet sich Österreich im europäischen Vergleich auf dem vorletzten Platz, offensichtlich reicht dieser eine Tag nicht aus und ist mehr Schein als Sein?
Am Ende muss viel öfter über die fehlende Gleichberechtigung von Männern und Frauen gesprochen werden, es ist derzeit einfach noch zu wenig. Zumal viele Unternehmen den feministischen Kampftag als Einladung nehmen, alle möglichen Frauen, die es innerhalb der Firma gibt, vor den Vorhang zu holen und sich damit brüsten, eine hohe Anzahl von Mitarbeiterinnen und im besten Fall sogar eine Frau in einer Führungsposition zu haben. Dann wird auch meistens öffentlichkeitswirksam kommuniziert, wie viel Wert auf Gleichberechtigung gelegt wird. Wenn man hinter die Kulissen schaut, wird das Unternehmen aber erst wieder ausschließlich von Männern geführt. Es braucht gesetzliche Frauenquoten und Menschen in der Öffentlichkeit, die sich äußern, sonst wird sich auf lange Sicht nichts ändern.
Menschen wie Andrew Tate standen aufgrund ihrer frauenverachtenden Aussagen in der Vergangenheit stark in der Kritik, in den sozialen Medien unterstützen aber vor allem junge Männer seine misogynen Aussagen, machen wir in Sachen Gleichberechtigung also eher Rückschritte?
Ich bin sehr viel auf Social Media unterwegs und folge da auch gezielt Frauen, die diese toxische Männlichkeit aufdecken und gezielt Aufklärungsarbeit leisten, wenn Männer öffentlich über Frauen schimpfen. Umso schlimmer ist es, zu sehen, wie junge Menschen seinen Aussagen verfallen. Da geht es nicht mehr nur um misogyne Verhaltensweisen, sondern da geht es um jemanden, der wegen vermutetem Menschenhandel verhaftet wurde – was ist daran cool? Was ist generell super daran, wenn jemand öffentlich damit herumprahlt, Frauen ihre Entscheidungsfreiheit abzusprechen? Ich habe generell schon das Gefühl, dass wir uns hinsichtlich Gleichberechtigung und Emanzipation durchaus voranbewegen, aber in solchen Fällen verlässt mich zwischendurch der Mut.
Sie bieten selbst Trainings und Workshops in Unternehmen über Empowerment, Diversität und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz an, wie ist die Reaktion der Teilnehmenden auf die Themen, die Sie bearbeiten?
Ein Bereich ist die Aufklärung, was überhaupt unter den Begriff sexuelle Belästigung fällt. Da merke ich, dass viele Männer als auch Frauen sich nicht bewusst sind, dass nicht nur Handlungen, wie jemandem auf den Busen oder den Hintern zu fassen, unter diesen fallen. Vieles wird bagatellisiert und erst gar nicht angesprochen, weil Frauen im Zuge ihrer Erziehung durch das Leben in einem Patriarchat damit leben und umgehen gelernt haben, obwohl sie das nicht müssten. Auch Blondinen- und Altherrenwitze fallen in diese Kategorie. Häufig ist es die ältere Generation, der das Bewusstsein fehlt. Als Vortragende habe ich deswegen sowohl von Frauen, als auch Männern bereits einige Aha-Effekte erlebt. Viele haben sich davor auch nie damit auseinandergesetzt, weil sie sich nicht betroffen fühlen und von ihrer Umwelt vermittelt bekamen, dass es cool und lässig ist, sich so gegenüber Frauen zu verhalten.
Dieses fehlende Bewusstsein und die Einflüsse des Patriarchats übertragen sich gleichzeitig auch auf die gesamte Arbeitswelt der Frau.
Es macht mich wütend, dass sich Frauen im 21. Jahrhundert immer noch entscheiden müssen, ob sie Karriere oder Kinder wollen, weil Dinge wie Väterkarenz immer noch nicht weit verbreitet oder gar gern gesehen sind. Frauen werden auch nachweislich bei gewissen Jobausschreibungen benachteiligt, weil schließlich die Möglichkeit einer Schwangerschaft besteht. Wenn eine Frau ein Kind bekommt, verändert sich nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr komplettes Berufsleben. Die meisten gehen in Teilzeit, verdienen weniger, bekommen statistisch belegt weniger gute Aufträge, weil die Zeit angeblich nicht reicht und bekommen weniger Geld. Für den Mann ändert sich gleichzeitig gar nichts, weder körperlich noch beim Einkommen. Und weil der Mann ohnehin überwiegend mehr verdient als die Frau, ist oft auch die logische Konsequenz bei der Kinderbetreuung, dass die Frau karrieretechnisch zurücksteckt. Deshalb braucht es gesetzliche Schritte und kooperativere Unternehmen. Hätten wir tatsächliche Gleichberechtigung, gäbe es diese Diskussion gar nicht.
Warum reagieren Männer bei dem Begriff Gleichberechtigung häufig so sensibel?
Ich bin keine Psychologin, ich denke aber, dass es mitunter die Angst ist, die Machtstellung in der Gesellschaft zu verlieren. Als Frau bekommt man oft gesagt, man brauche sich nicht zu beschweren, wir hätten eh schon alle Rechte. In der nicht allzu fernen Vergangenheit durften Frauen nicht wählen, nicht Autofahren und Vergewaltigung in der Ehe wurde nicht als Straftat gehandhabt. Heute gibt es Frauensolidarität und Menschen, die ihren Mund aufmachen. Das kann dazu führen, dass sich Männer in die Ecke gedrängt fühlen, auch wenn immer wieder betont wird, dass das Anliegen ist, schlicht und ergreifend gleichberechtigt zu sein.
Sie haben selbst in der Vergangenheit den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt und über Ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gesprochen, glauben Sie, dass das anderen Menschen Mut macht?
Ich war zum damaligen Zeitpunkt so beschäftigt mit mir und meiner Situation, dass ich erst nicht realisiert habe, welchen Stein ich ins Rollen gebracht habe. Viele Männer sagen, dass das Thema inzwischen ausgelutscht ist, aber die Realität vieler Frauen spricht eine andere Sprache. Als ich vor Gericht stand, hatte ich das Gefühl, im Namen aller Frauen zu sprechen, die dasselbe durchleben. Deshalb wird es auch in Zukunft Stimmen brauchen, die den Mut haben, öffentlichkeitswirksam über Missstände zu sprechen und zum Nachdenken anregen. Vor allem, wenn man zusätzlich bedenkt, wie viele Femizide es in Österreich in der jüngsten Vergangenheit gab.
Diese Aufklärungsarbeit ist das Ziel von Feminismus, dennoch wird der Begriff immer häufiger negativ konnotiert, warum ist das so?
Damit sich etwas langfristig verändert, braucht es leider ein gewisses Level an "Radikalität", um gesehen zu werden, ähnlich wie bei den Klimaaktivisten, die sich auf die Straße kleben. Es braucht etwas, das auffällt und die Menschen auf eine gewisse Weise schockiert. Aus diesem Grund wird der Begriff Feminismus inzwischen oft irrtümlich mit Männerhass in Verbindung gebracht, dabei haben diese beiden Begriffe nichts gemeinsam. Eigentlich müsste jede Person eine Feministin oder ein Feminist sein.
Wie können wir in Zukunft mehr Gleichberechtigung in der Gesellschaft erreichen?
Wichtig wird unter anderem sein, das Bildungssystem anzupassen und Pädagoginnen und Pädagogen auch darin zu schulen, diese tief sitzenden Geschlechterrollen nicht mehr zu forcieren, aber das ist nur ein Teil der Miete. Die nächsten Generationen dürfen diese toxischen Rollenbilder einfach von Kindesbeinen an nicht mehr vermittelt bekommen, und das betrifft das gesamte Umfeld.