In einer Folge Ihres Podcastes "Schauma Mal" haben Sie bereits vor drei Jahren erstmals detailliert über Ihre mentale Gesundheit und Ihre Essstörung gesprochen, was hat Sie dazu bewegt, Ihre Geschichte zu teilen?
SOPHIE FORSTER: Erstens sehe ich es ein wenig als meinen Auftrag, diese Dinge zu entstigmatisieren, das ist mir auch persönlich sehr wichtig. Zweitens sehe ich Jugendliche, die unter psychischen Problemen wirklich furchtbar leiden, und ich möchte, dass auch diese Menschen eine Person haben, zu der sie aufblicken können und die offen sagt, dass sie in Therapie war und immer wieder mal ist. Ich bin außerdem der Meinung, dass das normal sein sollte, schließlich gehen wir, wenn wir uns den Fuß brechen, auch zum Arzt.

Wann haben Sie erstmals Hilfe angenommen?
Ich leide schon seit meiner Pubertät immer wieder unter depressiven Verstimmungen. Meine Eltern waren zu diesem Zeitpunkt zum Glück bereits sehr offen und unterstützend, was das Thema Therapie anbelangt. Ich bin dann zu einem Jugendtherapeuten gegangen und habe meine Eltern schwören lassen, das niemandem zu erzählen. Ich war erst 13, aber das hat mir schon gezeigt, wie schambehaftet dieses Thema eigentlich ist. Erst später bin ich offener damit umgegangen, auch weil ich während meinem Studium eine Essstörung entwickelt habe und es nicht mehr unter den Teppich kehren konnte, als ich ein halbes Jahr pausiert habe. Das war der Punkt, an dem ich auch mit meinen Freundinnen und Freunden darüber gesprochen habe und wirklich aufgefangen worden bin. Das war sehr schön, das zu spüren.

Was können Betroffene machen, die kein so unterstützendes Umfeld haben?
Es ist ohnehin eine Herausforderung sich zu öffnen und sich nach Hilfe umzuschauen, Unverständnis macht es den betroffenen Menschen nur noch schwerer. Jeder geht mit schwierigen Lebensphasen anders um, nicht jeder braucht automatisch eine Therapie. Vor allem durch Corona können viele diese Leere, die man in depressiven Phasen in sich empfindet, nun besser nachvollziehen, weil sie sie selbst zu einem gewissen Grad empfunden haben. Ich habe selbst noch keine Lösung gefunden, wie man Menschen, die kein Verständnis für mentale Probleme haben, vermitteln kann, wie gravierend die Auswirkungen sein können. Sollte jemand sich respektlos verhalten, kann man nur versuchen, sich zu distanzieren, aber selbst das ist weder eine Dauerlösung noch in allen Fällen umsetzbar. Deswegen hoffe ich, dass ich diese Stütze für diese Menschen sein kann, indem ich meine Erfahrungen teile.

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Was hat sich an Ihrem Mindset seit der ersten Podcastfolge zu dem Thema verändert?
Mein früheres Mindset hing sehr stark mit meiner Essstörung zusammen, aus diesem Grund habe ich in den letzten Jahren sehr viel an meinem eigenen Körperbild gearbeitet. Das war für mich essenziell und ist etwas, dem ich oft aus dem Weg gehen wollte, aber unausweichlich war. Ich habe auch eine Ernährungstherapie gemacht, mit der ich vieles noch einmal aufarbeiten konnte. Dadurch habe ich auch zum intuitiven Essen gefunden, das war ein Türöffner zu einem normalen Essverhalten für mich.

Inwiefern wirkt sich das auf deinen Alltag aus?
Früher habe ich meinem Körper gegenüber richtigen Hass empfunden, jetzt kann ich diesen Hass einfach in eine andere Richtung umwandeln, und zwar in eine Arbeit, die dieser Diätkultur und diesem unrealistischen Bild, dem wir entsprechen sollen, etwas entgegensetzt.

Wie bewerten Sie den Einfluss des idealen Körperbildes, das von der Gesellschaft vermittelt wird, auf Betroffene wie Sie?
Ich empfinde es als sehr stark und auch schlimm. Nur ein minimaler Prozentsatz entspricht tatsächlich dem, was derzeit als "perfektes Körperbild" dargestellt wird, oder kann ohne Mühe so aussehen. Und selbst bei diesen Menschen wird sich die Figur verändern, weil wir eben nicht immer gleich bleiben. Es ist einfach so toxisch, dass wir immer nur dieses eine Körperbild präsentiert bekommen. Deswegen finde ich Social Media, auch wenn viele sich oft kritisch darüber äußern, grundsätzlich gut, weil man da Zugang zu viel mehr Diversität hat. Da werden auch Menschen zu Vorbildern, die nicht der "Norm" entsprechen.

Was war der letzte Anstoß, der Sie ermutigt hat, eine Therapie zu beginnen?
Während des Studiums kam da irgendwann dieser Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr kann, dass ich mich selbst nicht mehr aushalte. Ich konnte einfach nicht mehr leben, nicht mehr existieren, ohne diese ganzen schlechten Gedanken ständig in meinem Kopf zu haben. Das war der Punkt, an dem ich dann selbst gesagt habe: "Bitte, mir muss jemand helfen." Als ich dann später die Ernährungstherapie gemacht habe, war ich zwar nicht direkt wieder in der Essstörung drin, habe aber gemerkt, dass mich diese Gedanken wieder einholen. Und ich wollte da einfach nie wieder hin, weil ich wusste, dass das alles zerstört. Ich wollte einfach ein Leben führen, das frei ist von Gedanken, die sich ständig ums Essen drehen.

Wie können sich andere vorstellen, was da im eigenen Kopf vorgeht?
Man fragt sich einfach ständig, wann man das nächste Mal essen kann, was man dann isst, man macht sich Sorgen, wenn man bei irgendjemandem eingeladen ist oder auswärts essen geht. Ich habe mich auch immer gefragt, was es dort dann wohl gibt und ob ich das dann auch essen kann. Das ist unvorstellbar einengend und alltagsbestimmend. Umso schöner war es dann für mich, als ich durch die Therapie gemerkt habe, wie viele Kapazitäten in meinem Kopf auf einmal frei werden für Dinge, die das Leben bereichern. Ich habe vorher nie gefrühstückt und erst dadurch gelernt, wie viel produktiver, weniger hungrig und weniger müde ich dadurch bin.

Was halten Sie von Begriffen wie "body positivity", "Selbstliebe" und "body neutrality"?
"Body positivity" und "Selbstliebe" empfinde ich als keine guten Begriffe, weil es voraussetzt, dass man sich selbst lieben muss. Ich versuche deswegen immer eher von Selbstakzeptanz zu sprechen, wenn man es nämlich wieder nicht schafft, sich selbst zu "lieben", obwohl einem das alle vermitteln wollen, dann fühlt man sich automatisch wieder schlecht. Ich kenne keinen Menschen, der jeden Tag aufsteht und seinen Körper super findet, deswegen ist meiner Meinung nach "body neutrality" ein besserer Begriff. Ab und zu reicht es schon, dem eigenen Körper dankbar zu sein, dass er mir ermöglicht hat, in der Früh aufzustehen. Wenn man Dankbarkeit und Wertschätzung zeigt, kann man gleichzeitig auch viel lieber zu sich selbst sein. Ich muss meinen Körper nicht immer lieben, aber ich kann ihm immer Liebe schenken.

Womit können Freunde und Familie Betroffene unterstützen?
Bei einer Essstörung ist es wirklich wichtig, nicht auf den Körper einzugehen. Jedes Mal, wenn jemand zu mir gesagt hat, dass ich mehr essen muss, habe ich mir nur gedacht, dass ich mache, was ich will. Deswegen ist es besser, zu kommunizieren, dass man sich Sorgen um die Person macht und zu vermitteln, dass man merkt, dass es jemandem nicht gut geht. Zu sagen "Ich bin für dich da, jederzeit", kann so einen starken Effekt haben. Das war auch ein ausschlaggebender Punkt für mich, mich in Therapie zu begeben, weil ich nicht wollte, dass andere sich Sorgen um mich machen. Das Traurige ist, dass man wahrscheinlich nur erfolgreich daraus hervorgehen kann, wenn man es wirklich selber will und für nahestehende Personen unfassbar schlimm mitanzuschauen ist. Deshalb ist es wichtig, nicht aufzugeben und immer wieder nachzufragen und ein offenes Ohr zu haben, auch wenn man mal weggestoßen wird.

Was hat Ihnen schlussendlich am meisten geholfen?
Neben den Therapien war es wichtig, dass ich mir Zeit für mich selbst nehme, das ist auch jetzt so. Das hört sich so banal an, aber man muss den Dingen, die man gern macht, Raum geben und sich an jedem Tag und in jeder Woche Leuchttürme schaffen, auf die man sich freut und die Glücksgefühle auslösen.

Video: Bei psychischen Beschwerden – Wie kommt man eigentlich an einen Therapieplatz?