Aufsteirern in Graz, Kirchtag in Villach, Bleiburger Wiesenmarkt – Brauchtumsfeste boomen, vor allem bei der jungen Generation. Auch Dirndl und Lederhose sind so beliebt wie nie. Ein Phänomen, dass sich vor allem in den vergangenen Jahren stark etabliert hat.

Es ist eine sichtbare Wende im Zeitgeist, die eine Renaissance der Passion für die heimische Tracht in der jungen Generation wieder neu entfacht hat. Politisch einschneidende Ereignisse im Land, wachsender Individualismus und eine offene Welt, die durch Reisen und die sozialen Medien unendliche Möglichkeiten zur Selbstfindung bieten, waren vor allem im urbanen Raum über einen längeren Zeitraum die Ursache einer Art Entfremdung, eines Abstandnehmens von der Kultur in Form der Tracht – eine subtile Rebellion. Während Tracht in der Region weiterhin einen hohen Stellenwert im Zusammenhang mit Brauchtum einnahm, war die Begeisterung in den Ballungsräumen reduzierter.

Neuer Bezug zur Region

Bis die Pandemie die Welt überrollte und ein neues Bewusstsein für den Wert der Region zur Folge hatte – eine Nebenwirkung, die sich vor allem in einer neuen Wahrnehmung der Begriffe „Heimat“ und „Tradition“ manifestierte. Worte, die auf politischer Ebene in der Vergangenheit einen negativen Kontext gerieten und vor allem der weltoffenen Generation Z und Millenials sauer aufstießen. Mit der Pandemie und einem gefühlt ewig andauernden Stillstand wurde dem Bezug zur eigenen Region und somit auch der regionalen Tracht neues Leben eingehaucht, inklusive modernen, über die Grenzen hinausgehenden Twists.

Bei "Karl & Luise" trifft Retro-Stil auf Trachtentradition
Bei "Karl & Luise" trifft Retro-Stil auf Trachtentradition © RENE STRASSER

In einer Gesellschaft, in der die Auslebung des individuellen Stils immer mehr an Bedeutung gewinnt und dennoch eine Verbundenheit zum eigenen Land erkennbar sein soll, erleben Trachtenunternehmen, die über klassische Schnitte, Farben und Muster hinausdenken, einen regen Aufschwung. So kreierte unter anderem das Trachtenunternehmen Seidl mit den Geschäftsführerinnen Katharina und Victoria Götzl 2019 die Marke „Karl & Luise“, mit dem Ziel, die traditionelle Tracht stilistisch in die Jetztzeit befördern. „Tracht für jede Lebenslage und jeden Geschmack“ ist das Motto, tragbar auch abseits der traditionellen Kultur- und Brauchtumsveranstaltungen.

Kreativität, Individualität und Tradition

"Das Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition und das Spiel mit den Wurzeln ist das spannendste an der heutigen Tracht“, sagt unter anderem Maximilian Gössl vom Traditionsunternehmen Gössl. Das Tracht sich weiterentwickeln darf und soll, unterstreicht auch Claudia Hochmüller vom Kärntner Unternehmen „Grünschnabel & Gänseblümchen“. Die gebürtige Wienerin bedruckt Schürzen mit Erinnerungen ihrer Kundinnen und Kunden.

Claudia Hochmüller verleiht Schürzen einen individuellen Touch
Claudia Hochmüller verleiht Schürzen einen individuellen Touch © pink mango wedding

Diese neue Verschmelzung von Kreativität, Individualität und historisch gewachsener Tradition ist nicht nur ein Spiegelbild des Zeitgeistes, sondern auch ein Zeichen dafür, dass Alteingesessenes durch die Zugabe von Neuem nicht verschwindet, sondern viel eher aufgewertet und auch für Menschen mit wenig Bezug zum Brauchtum greifbarer und erlebbarer gemacht wird.

Über den Tellerrand hinaus

Das Hinausblicken über den Tellerrand hat zudem zur Folge, dass Unternehmen wie Rettl mit der Verbindung schottischer Traditionselemente wie dem Kilt und den Karos, angehaucht von den Farben der Kärntner Flagge und der regionalen Seen, in der Trachtenkultur in der Region fix Fuß gefasst haben. War das Tragen von Röcken bei Männern vor Jahren noch für viele in Österreich undenkbar, hat die fortschreitende Offenheit der Gesellschaft mehr Experimentierfreudigkeit zur Folge – dass Kilts in der schottischen Kultur eine lange Historie haben, zeigt die regionalen Unterschiede in der Auslebung der Kultur in Europa auf. „Der Mensch war immer schon modebewusst und sich darauf zu versteifen, dass es nur einen Weg gibt, Tradition zu leben, ist nicht der richtige Weg“, ist Rettl-Chef Thomas Rettl überzeugt.

Rettl hat den Kilt in Österreich salonfähig gemacht
Rettl hat den Kilt in Österreich salonfähig gemacht © SIGRID MAYER

Es ist eine Mischung aus der Wiederfindung des eigenen Heimatgefühls als auch eine Entwicklung der Tracht hin zu moderneren Auslegungen und Interpretationen, die den Aufschwung der Tracht in den letzten Jahren verursacht hat und auch in weniger trachtenaffinen Bevölkerungsgruppen Fuß gefasst hat.