Die Termine werden nicht weniger in den Wochen vor dem Zeugnistag: Schularbeiten, Tests, Referate, Prüfungen – und das alles im eng gewordenen Zeitkleid eines von pandemischen Turbulenzen geprägten Semesters. Und dann wäre da noch: am Montag Gitarrenstunde, dienstags und freitags Training im Sportverein, mittwochs Nachhilfe, am Donnerstag virtueller Schachunterricht. Nicht wenige Kinder haben heute abseits ihres Schulalltags einen mit Hobbys und Hausaufgaben vollgestopften Nachmittagskalender wie ein Manager. Freizeit? Fehlanzeige!

Was macht das mit einem Kind? Helfen ihm die Aktivitäten bei seiner Entwicklung oder werden Lebenserfahrungen blockiert? Verursacht das Fördern nur ein Überfordern? Erzeugt das Viele nur ungesunden Stress, wo eigentlich weniger mehr wäre und sich gesunde Langeweile ausbreiten sollte?  Tatsächlich lassen sich für jede Freizeitaktivität und Förderungsmaßnahme ausreichend gute Gründe finden. Aber es ist ein schmaler Grat. Denn auch die sogenannten Helikopter-Eltern, die ihren Nachwuchs sorgend umkreisen wie ein Hubschrauber und stets nur das Beste wollen, stehlen Freizeit. Hier noch ein Sprachunterricht, da noch ein Töpferkurs, dort noch eine Theatergruppe. Immer noch mehr Pflichten, immer noch weniger Freizeit. Bleibt für das freie Spielen, das zufällige Entdecken, das Ausprobieren, Versuchen und Verstehen aber keine oder nur zu wenig Zeit, nimmt man der kindlichen Fantasie und Kreativität wertvolle Möglichkeiten zur Entfaltung.

Freizeit bedeutet nicht nur Freiheit, sondern auch Freiraum zur unbewussten kognitiven und körperlichen Entwicklung. In einem durchgetakteten Alltag wird es durch permanenten Leistungsdruck und – pandemiebedingt zum Dauerzustand mutierte – Ausnahmesituationen zunehmend schwer, die notwendigen Ruhezonen zu finden. Einschlägige Untersuchungen vermerken bei Kindern und Jugendlichen bereits eine Zunahme von körperlichen Belastungssymptomen, Schlafproblemen, Panikattacken oder Verhaltensstörungen bis hin zum Burnout.

Es sind Alarmsignale aus einer den Nachwuchs nach unten ziehenden Stress-Spirale. Ein stiller Schrei nach mehr Ruhe und Freizeit. Aber wo ist die Grenze? Wie viel ist zu viel? Entwicklungspsychologen raten bei Volksschulkindern zu maximal zwei Nachmittagen, die mit einem Hobby verplant sein sollen. Der Rest: Zeit zur freien Gestaltung.
Allgemeingültige Raster haben aber Tücken. Denn so unterschiedlich die Interessen der Kinder sind, so individuell ist auch ihre Entwicklungsgeschwindigkeit. Die einen lernen leicht, andere müssen sich auch am Nachmittag noch mit dem Unterrichtsstoff beschäftigen. Die einen entspannen sich mit einem Buch, andere lieber tobend draußen. Alles möglich, alles erlaubt. In jedem Fall sollten die Abschaltphasen selbstbestimmt sein und sich ausschließlich nach den Bedürfnissen des Kindes richten. Die einen brauchen im Anschluss an die Aufgaben als Ausgleich das terminisierte Remmidemmi am Sportplatz, andere mögen spontane Treffen mit Freunden, dritte bevorzugen es ruhiger und bleiben lieber daheim. Außerdem kommt es darauf an, ob das Freizeitangebot eher spielerisch ist, oder auch hier ein Leistungsgedanke im Vordergrund steht.

Den Raum, in diesen jungen Jahren sich und verschiedene Betätigungsfelder auszuprobieren, sollte man dem Kind jedenfalls geben. Das heißt umgekehrt nicht, dass alle paar Wochen das Hobby je nach Laune gewechselt werden soll. Kommen Motivationstäler – und sie kommen meist – liegt es an den Eltern, die Kinder dazu zu ermutigen, nicht gleich aufzugeben. Gleichzeitig müssen sie abwägen, ob ihr Kind stärker von der Vielfalt der ausprobierten Hobbys oder dem langfristigen Ausüben einer Freizeitbeschäftigung profitiert. Auch an dieser Weggabelung können alle Beteiligten falsch abbiegen.

Natürlich wollen Eltern keine Fehler machen. Trotzdem folgen manche eher der Spur ihrer eigenen unerfüllten Wünsche und versunkenen Träume, die sie im und mit dem Leben ihrer Kinder verwirklichen wollen. Die individuellen Vorlieben und Interessen des Nachwuchses werden verdrängt. Weil der Vater gern Fußball gespielt hat, muss die Tochter zum Sport, weil die Mutter in jungen Jahren Spaß beim Klavierspielen hatte, muss der Sohn auch ein Musikinstrument lernen: So werden Familiendramen komponiert.

Andere plagt die Befürchtung, ihr Kind könnte den Anschluss in der Leistungsgesellschaft verlieren, wenn es nicht zusätzlich gefördert wird. Oder sie haben das Gefühl, dass die Schule nicht ausreichend Impulse liefert, die sie sich für die Entwicklung ihres Kindes wünschen. Das lässt die Gefahr wachsen, es mit dem Nachmittagsprogramm zu übertreiben.
Entscheidend ist es daher, ein gesundes Mittelmaß zu finden, bei dem das Kind Spaß am Hobby hat und davon profitiert, und parallel die Schulleistungen nicht darunter leiden. Zudem muss alles für alle zeitlich managbar bleiben. Denn die Gereiztheit gehetzter „Elterntaxis“ überträgt sich irgendwann auf die Kinder, die ja ohnehin schon ihr eigenes
Pensum bewältigen müssen.