Einer vorgelesenen Geschichte bis zum Ende zuzuhören. Sitzen zu bleiben, bis alle am Tisch aufgegessen haben. Mama ein Telefonat beenden lassen, Papa beim Schaukeln mit dem jüngeren Geschwisterchen zuschauen müssen. Warten kann für ein Kind ganz schön nervend und anstrengend sein. Vor allem auch, weil Geduld bei den wenigsten angeboren ist und daher von den meisten erst erlernt werden muss. Es ist ein mühsamer Prozess der kleinen Schritte. Denn ein eineinhalbjähriges Kind schafft es maximal, 30 Sekunden zu warten. Gefühlt nicht mehr als ein Wimpernschlag. Mit zweieinhalb Jahren steigt diese Spanne auf immerhin zwei Minuten. Zwischen drei und fünf Jahren dehnt sich dieses Zeitfenster dann bereits auf rund eine Viertelstunde. Bis dahin ist es aber ein langer Weg – denn auch wenn Kinder alle Zeit der Welt haben: Geduld haben sie nicht!
Schon Babys sorgen damit bei ihren Eltern für gehörig Stress und Erschöpfung. Aber der Nachwuchs hat mit seinem gnadenlosen Wunsch nach Aufmerksamkeit und Bedürfniserfüllung meist Erfolg. Selbst in dieser frühen Phase raten Experten – wenn es die Umstände erlauben – schon zu kleinen Geduldsübungen. Gleich (beruhigend) Antworten? – Ja. Gleich alles liegen und stehen lassen und (aufgeregt) zum Kind springen? – Nicht immer.
Ab etwa sechs Monaten beginnen die Kinder, zeitliche Abläufe zu erfassen – „Skripts“ nennt die Erziehungswissenschaft diese Systematisierung. Umso wichtiger sind sich ständig wiederholende Reihenfolgen und zeitliche Zusammenhänge. Sie helfen dem Kind, den Alltag zu strukturieren – und zu erkennen, dass es auch Phasen des Wartens gibt. Mit zunehmendem Alter werden die Skripts komplexer. Umso wichtiger werden Routinen, umso größer die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in Geduld zu üben. Dabei hilft, dass Kinder ab rund 18 Monaten beginnen, ein Verständnis für das eigene „Ich“ entwickeln und die Fokussierung auf das Hier und Jetzt sich langsam aufweicht. Die Kinder beginnen zu verstehen, dass es ein „davor“ und „danach“ gibt, ein „nachher“ und ein „gleich“. Vor allem ein „gleich“. „Maamaaa, komm’ schnell!“ „Gleich.“ „Paapaaa, kannst du schnell ...?“ „Gleich.“
Millionenfach ertönen diese oder minimal abgewandelte Warn- und Aufrufe aus den Kinderzimmern des Landes. Die Antworten sind routinierte Vertröstungen, die ein Warten provozieren: „Gleich.“ „Später.“ „Einen Moment.“ Dem Kind hilft das wenig. Wann ist dieses „gleich“? Wie lange ist „ein Moment“? Das Warten bleibt abstrakt und ein Stressfaktor für das Kind. Wer seinem Kind dagegen unmittelbar einen kurzen Augenblick Aufmerksamkeit schenkt, zeigt ihm: Du bist mir wichtig. Das motiviert das Kind zu warten. Zudem ist es besser, die Dauer mit einer konkreten Tätigkeit zu beschreiben: „... bis ich fertig telefoniert habe“, „... bis die Suppe fertig ist“, „... bis Du Dein Zimmer aufgeräumt hast“. Warten mit Belohnungsaufschub – ein wissenschaftlich bestätigtes Modell.
Zwischen 1968 und 1974 führte der in Wien geborene Psychologe Walter Mischel an der amerikanischen Stanford University seinen sogenannten „Marshmallow-Test“ durch. Mischel sagte vierjährigen Kindern in einem Raum, er werde kurz den Raum verlassen. Sie konnten ihn aber via Glocke zurückrufen und würden dann ein Marshmallow bekommen. Für den Fall, dass sie abwarteten, bis der Versuchsleiter selbstständig zurückkam, stellte er zwei Marshmallows in Aussicht. Der Impuls des „Jetzt-haben-Wollens“ wurde einer verzögerten Belohnung gegenübergestellt.
Warten-Lernen mit Leidensdruck, aber nachhaltiger Wirkung. Denn spätere Untersuchungen ergaben, dass Kinder, je länger sie im Experiment gewartet hatten, umso besser mit Frustration und Stress umgehen sowie Versuchungen widerstehen konnten. Zudem seien sie in der Schule leistungsstärker gewesen. Haben sie das Warten dagegen nicht gelernt, wächst die Wahrscheinlichkeit, auch später ein ungeduldiger Mensch ohne Verständnis für die Bedürfnisse anderer zu werden. Fehlendes Einfühlungsvermögen für das Gegenüber als Opfer der eigenen Ungeduld. Es kann sich aber auch drehen. Denn ab vier, fünf Jahren bauen Kinder parallel die Fähigkeit auf, sich einer anderen Sache zuzuwenden, ohne ihr eigentliches Ansinnen aus den Augen zu verlieren. Dazu kommt die Vorbildrolle der Eltern. Wenn sie permanent hektisch durch die Gegend wuseln, dürfen sie sich nicht wundern, wenn auch ihre Kinder unruhig und ungeduldig werden.
Die Fähigkeit zu warten, wurzelt aber auch in der Langeweile. Sie gilt es zuzulassen und zu pflegen, empfehlen Pädagogen. Denn aus der Fadesse und der zwangsläufigen Beschäftigung mit sich selbst entstehen Kreativität und neue, eigene Spielideen, die die Wartezeit verkürzen. Besonders herausfordernd bleibt das aber in der Zeit vor Weihnachten. Der Advent und sein Zauber, der Rummel und das Wünschen, lenken zwar ab und bauen gleichzeitig Spannung und Vorfreude auf. Was aber bleibt, ist diese ewige Warterei auf das Christkind.
Klaus Höfler