Takuji Hayata sitzt auf der Bank und macht eine kurze Pause. „Ich bin heute schon zum zweiten Mal zum Spazieren hergekommen“, sagt er und blickt zufrieden in die Umgebung. In seinem Rücken liegt ein 20.000-Zuschauer-Stadion, vor ihm eine Turnhalle. „Hier fühle ich mich wohl.“ Die sportliche Atmosphäre im Komazawa Park, im westlichen Zentrum Tokios, sporne den 80-Jährigen an, sich nicht hängen zu lassen. Vorne spielen Studenten Basketball, etwas weiter üben Kinder am Springseil. Der Komazawa Park, der 1964 das Zentrum der Wettbewerbe bildete, als Tokio die ersten Olympischen Spiele veranstaltete, ist bis heute eine der wichtigsten öffentlichen Sport- und Naherholungsanlagen der Metropole. Hochleistungssportler, wie Takuji Hayata einst selbst einer war, trainieren hier für Turniere. Hobbysportler laufen eine große Runde oder spielen Baseball. Und Senioren genießen die frische Luft und das Gefühl der Aktivität.
„So etwas gab es in meiner Jugend kaum“, sagt der alte Mann zu seiner Frau, die wie er in Trainingskleidung gekommen ist. Für den Nachwuchs seien damals die Sportanlagen der Schulen da gewesen, aber auf die körperliche Aktivität älterer Menschen habe man kaum geachtet. „Als ich für die Olympischen Spiele trainierte, trieben alte Menschen eigentlich keinen Sport.“ Die Olympischen Spiele von 1964 sollten aber dann nicht nur das Leben von Takuji Hayata verändern, der im Turnen zweimal Gold holte. Durch die neue öffentliche Infrastruktur hatte zumindest in Japans Hauptstadt die ganze Bevölkerung gewonnen.
Heute gilt das ganze Land als Vorbild, wenn es um Gesundheit und Fitness der Bevölkerung geht – vor allem unter Senioren. Mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 84 Jahren leben Menschen in Japan – neben San Marino und Hongkong – weltweit am längsten. Auch die durchschnittlich gesunde Lebensphase, in der kaum schwerere Krankheiten auftreten, ist in Japan auffallend lang: 72,6 bei Männern und 76,9 Jahre bei Frauen. Nirgendwo auf der Welt leben zudem relativ zur Bevölkerung so viele Menschen, die 100 Jahre oder älter sind. Die Hinterlassenschaften der Olympischen Spiele von 1964 – zu denen auch der Feiertag für die Gesundheit und Sport im Oktober gehört – ist aber nur ein Grund dafür. Auch kluge Maßnahmen der Regierung sowie ein Wertegerüst, das Trägheit kaum zulässt, gehören dazu. So wird etwa die Empfehlung der Regierung, man möge sich mindestens 60 Minuten pro Tag körperlich betätigen, zumindest von den meisten älteren Menschen oft beherzigt.
Über die Landesgrenze hinaus wird das regelmäßig ein Thema, wenn japanische Supersenioren bei internationalen Turnieren gewinnen. Das bekannteste Beispiel war Hidekichi Miyazaki, der 2010 den Weltrekord im Sprint auf 100 Meter für die Altersklasse 100-104 aufstellte: 29,83 Sekunden. Zwar war er mit seiner Athletik im hohen Alter ein Extremfall, aber auch die breite Masse in Japan ist schließlich fitter als anderswo.
Gute Infrastruktur und hohe physische Aktivität sind aber nur zwei von mehreren wichtigen Zutaten für ein langes, gesundes Leben. Eine weitere ist die Ernährung. In Japan wird historisch mehr Fisch als Fleisch gegessen, zudem viel Reis und Tee. Gezuckerte Getränke haben weniger Tradition als in westlichen Ländern. Dabei gilt auch eine moderate Anpassung an die Ernährungsgewohnheiten in Europa und den USA – wie rotes Fleisch und Milchprodukte – als wirksam in der Vorbeugung von Krankheiten, die mit der Durchblutung des Gehirns zusammenhängen.
In Japan selbst schaut man seit einigen Jahren erstaunt nach Nagano. Die Gastgeberregion der Olympischen Winterspiele von 1998 ist heute bekannt für eine besonders hohe Lebenserwartung. Insbesondere Frauen, mit einem Durchschnitt von knapp 88 Jahren, stechen landesweit heraus. Dabei war Nagano nicht immer ein bekanntes Ski- oder Sportgebiet und gilt auch nicht schon seit Jahrzehnten als Hort des gesunden Lebens. Frühere Generationen verbanden Nagano eher mit dem Gegenteil. Wegen des kalten Winters wurde vor allem Gemüse oft in viel Salz eingelegt, um es haltbar zu machen. Das „furuzuke“ genannte eingelegte Grünzeug galt als gesund, weil es ja Gemüse war. Bis in den 1980er-Jahren eine von Forschern, Ehrenamtlichen und Regierungsoffiziellen gestartete Initiative die Menschen zum Umdenken bewegte: Nicht nur sank daraufhin der Salzgebrauch in der Nahrung. Heute engagieren sich auch gut 10.000 Ehrenamtliche in der Präfektur, um die Gesellschaft in Kursen über gesunde Ernährung zu unterrichten.
Mittlerweile fällt Nagano deshalb auf, weil besonders viel Gemüse gegessen wird, die Menschen bis ins hohe Alter arbeiten und sozial aktiv bleiben. „Wer lange leben will, sollte nach Nagano ziehen“, schrieb Takuji Shirawasa, ein in Japan bekannter Gerontologieprofessor und Forscher der Ochanomizu Praxis für Langlebigkeit.
Die Probe liefert die weiter nördlich gelegene Präfektur Aomori, die mit 79 und 86 Jahren für Männer und Frauen die niedrigste Lebenserwartung Japans hat – auch wenn dies im internationalen Vergleich immer noch hoch ist. In Befragungen wird in Aomori neben relativ geringer körperlicher Aktivität und hohem Tabakkonsum auch eine hohe Aufnahme von Salz durch Lebensmittel dokumentiert. Selbst auf salzige Speisen wie eingelegtes Gemüse wird in Aomori häufig noch Sojasoße dazugegeben.
Seit einigen Jahren versucht die Präfekturregierung, die Menschen dazu zu bewegen, dass sie weniger Salz essen und sich mehr bewegen. Als Vorbild gilt Nagano. Oder eben betagte Menschen, die weiterhin täglich Sport treiben – wie Takuji Hayata im Komazawa Park in Tokio.