Es ist zum Davonlaufen, raunten manche und rauften sich die Haare, um sie gleich danach wieder schön glatt zu legen. Eine Angelobung als Minister und das im ehemaligen Schlafgemach von Kaiserin Maria Theresia – in Turnschuhen! Ja, darf der das, der Wolfgang Mückstein? Ein glatter Protokollbruch, eine Missachtung der Traditionen, ein Zeichen der Zeit oder auch nur ein Signal an die WählerInnen, wie schon 1985 bei Joschka Fischer? Die Idee, seinen Amtseid als hessischer Umweltminister in Turnschuhen abzulegen, war, wie er später zugab, eine Fraktionsidee. Damit spielten sie den einfachsten, aber wirkungsvollsten Akkord, den man auf der Modeorgel spielen kann: die Provokation. Doch warum kann das gleiche Setting 36 Jahre später noch immer zum Aufreger werden? Das hat vor allem damit zu tun, dass Kleidung weit mehr ist, als nur seine Nacktheit zu verdecken. Kleidung unterliegt Codes, die Botschaften transportieren.
Ganz grundsätzlich hat Mückstein auf den ersten Blick mit dem schwarzen Anzug alles richtig gemacht, so Silke Geppert,Universitätsdozentin für Mode- und Kostümgeschichte am Mozarteum in Salzburg: „Der schwarze Anzug in der Politik ist etwas, wo wir gemeinhin darunter verstehen, dass jemand gut angezogen ist.“ Doch sie schickt mehrere „aber“ hinterher: „Da gibt es eine gewisse Irritation, weil hier manche Elemente nicht ganz zusammenpassen. Die klassische Anzugsilhouette, die normalerweise eine V-Form ausprägt, ist hier in eine Art H-Form umgewandelt: tiefe Hüften, eine nicht sitzende Hose, das Hemd offen, die fehlende Krawatte.“ Dazu kommen noch die Turnschuhe – „ein Code aus dem Sport, der den offiziellen Dresscode durchbricht.“
Das ist keine rein formale Stilkritik, sondern hat damit zu tun, welche Funktion Kleidung in der Politik übernimmt, so Geppert: „In Österreich sind wir dahin gehend einer sehr historischen Betrachtungsweise und Tradition verbunden.“ Der, der hier kleidungstechnisch den Takt vorgibt, sei der Kanzler in seiner Funktion als Regierungschef. „Die Kleidung ist hier eben auch das Indiz für die Kontinuität einer gewissen Haltung.“ Gerade aus diesem Gesichtspunkt heraus darf man den Auftritt von Wolfgang Mückstein als Hineingrätschen in diese Kontinuität sehen, analysiert die Modeexpertin: „Die öffentliche Rolle des Politikers, die er erfüllen soll, die wird aufgebrochen.“ Doch zwingend negativ ist das nicht zu sehen, meint Geppert. Mückstein wirke durchwegs flexibel und „wie jemand, der mit einer gewissen Schnelligkeit auf diese Situation reagieren kann“.
Im Gegensatz zum Kanzler Sebastian Kurz, dessen Dresscode einer bestimmten Inszenierung folgt. Die Slim-Fit-Silhouette, die der französische Designer Hedi Slimane in den Nullerjahren für Dior designte, transportiere „Stabilität und Strenge“. Die sich nicht zuletzt auch in der akkuraten Frisur von Kurz zeige. „Slim-Fit-Anzüge haben für mich zum Teil den Charakter einer Rüstung. Es ist eine den Körper ganz streng umfassende Silhouette. Hier wird eine gewisse Körperlichkeit in den Vordergrund gehoben. Mit seinem Outfit negiert Mückstein das in gewisser Weise.“
Der öffentliche Auftritt von Politikern und die Aufregung darüber, die hat in Österreich eine lange Tradition – vor allem, wenn man SPÖ-Politiker ist: Ob Hannes Androsch oder auch Bruno Kreisky, dass Sozialdemokraten zum Herrenschneider gehen, hat bisweilen den Volkszorn hochkochen lassen. Doch gerade Bruno Kreisky, der vor allem auf Dreiteiler setzte, folgte einer Tradition, die typisch österreichisch ist, so Silke Geppert: „Er hat für diese öffentliche Rolle als Politiker ganz klar hier unsere österreichisch-habsburgische Hoftradition bedient.“ Der Hang zum Zeremoniellen, der ist dem Österreicher eingeschrieben, denn in vielen europäischen Ländern wäre das nicht einmal eine Meldung wert gewesen.