Gott kam in einem Elendsviertel zur Welt, als fünftes von acht Kindern am Rand einer Stadt, die für ihre guten Winde bekannt ist. Es war der 30. Oktober 1960, ein Sonntag. Elvis Presley veröffentlichte „Are You Lonesome Tonight“ und an der Spitze der deutschen Charts stand Lale Andersen mit „Ein Schiff wird kommen“. Evita war seit acht Jahren tot und ihr Mann, der langjährige argentinische Diktator Juan Perón, befand sich im Exil in Spanien, wo er bald eine Nachtklubsängerin ehelichen sollte. Adolf Eichmann war gerade vom Mossad entführt und nach Israel gebracht worden, trotzdem tummelten sich in Südamerika noch jede Menge abgetauchter Nazis.

Gott wog bei der Geburt vier Kilo zwanzig. Von einer jungfräulichen Geburt ist nichts bekannt. Sein Vater war Nachtwächter in einer Mehlfabrik, die wichtigste Saat aber ging zu Hause auf – Diego Armando vulgo Fersenhalter Hermann, von der Mutter abgöttisch geliebt.
Die Häuser in Villa Fiorito, dem besagten Elendsviertel, sind schmucklose Betonwürfel mit Flachdächern. Neben den Lehmstraßen verrotten Autowracks und alte Gartenmöbel, Jugendliche schnüffeln an Lackdosen, ausgemergelte Esel und Schindmähren grasen auf Gstätten und der Fluss, der das Ganze durchzieht, ist eine einzige Müllkippe. Die Leute sprechen Castellano oder Guarani, die Sprache der Indianer. Kartonsammler, Hilfsarbeiter, Tagediebe. Das Wasser schmeckt nach Chlor und kommt rostbraun aus der Leitung, elektrischen Strom gibt es nur zu manchen Stunden. Kinder sind hier eine Altersvorsorge. Wahrlich, Gott hätte sich einen nobleren Ort aussuchen können.

Er wurde auch nicht gleich erkannt. Keine königlichen Häscher, kein Herodes, und als ihn die Scouts der Großklubs endlich fanden, war er schon neun. Gott musste keinen Wein vermehren, ihm reichte ein Ball. Wenn er damit zauberte, war es ein Fest, machte er Blinde sehend, Lahme gehend, Stumme jauchzend. Fortan spielte Gott bei den „Zwiebelchen“ und unterhielt das Publikum der Erwachsenenmannschaft mit Kunststücken in der Pause. Gott konnte alles: dribbeln, passen, schießen, mit den Augenbrauen ferserln, mit den Fersen gaberln. Gott war ein Genie, doch für die Weltmeisterschaft 78 zu jung. Zwei Jahre später spielte er bei Boca Juniors und verwandelte die Bonbonniere-Schachtel, wie das Stadion von den Hafenbewohnern liebevoll genannt wird, in eine Kathedrale der Erlösung.



Im Mai 1980 kam Gott erstmals nach Österreich, um gegen die hiesige, mit Stars gespickte Nationalmannschaft zu spielen. Prohaska, Krankl, Schachner … Bereits nach fünfzehn Minuten stand es 3:0 für Argentinien. Trainer Menotti zündete sich eine Zigarette an, und die blau-weißen Zebras ließen es gut sein, schließlich wollte man die Gastgeber nicht zu sehr demütigen und im Anschluss das Wiener Nachtleben, wo ein gewisser Johann Hölzel auftrat, unsicher machen. Am Ende siegte Argentinien 5:1, Gott hatte drei Tore geschossen, eines im Sitzen. Damals war er zwanzig Jahre alt und unbekannt. Zehn Jahre später sollte er wieder in Wien sein, um gegen Polster, Herzog, Schöttel und Co zu spielen. Dieses Mal endete es 1:1, Gott wollte mit den Gastgebern noch um die Häuser ziehen, in denen jetzt ein Falco sang.

In der Dekade zwischen diesen Wien-Gastspielen wurde er spanischer Cupsieger mit Barça, italienischer Meister und Pokalsieger mit Napoli, UEFA-Cup-Sieger und vor allem Weltmeister. 1986 gab er seine Antwort auf den Malvinas- bzw. Falkland-Konflikt: Erst machten die Engländer Bekanntschaft mit der Hand Gottes und dann kam sein legendärer Sololauf über das gesamte Spielfeld, bei dem er die Gegenspieler wie paralysierte Baumstämme aussehen ließ – das Tor des Jahrhunderts. Nicht nur der argentinische Kommentator, der danach nur noch als Schiffshorn am Rio de la Plata arbeiten konnte, zuckte völlig aus.
Aber es ist schwer für einen Gott, unter Sterblichen zu leben. Alle wollen etwas von ihm – Erlösung, Berührung, ein Autogramm, die Frauen ein Kind. Gott hat nie auf seine Herkunft vergessen, aber, frei nach Ibrahimovic, man kann zwar den Jungen aus den Slums holen, nicht aber die Slums aus dem Jungen. Gott hatte keine Berührungsängste vor Ausgestoßenen, er liebte alle Menschen, auch Prostituierte, Dealer, Camorra-Bosse. Dreißig Jahre lang hatte Gott die Menschen mit Wundern erfreut, dann kam seine mediale Kreuzigung – Dopingsünder bei der WM 94, Sperre, Kokain, eine kurzfristige Auferstehung als Trainer, um nur noch tiefer zu fallen. Übergewicht, Entziehungskur bei Fidel Castro, der ebenfalls an einem 25. November sterben sollte.

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Peinliche Auftritte, immer tiefere Stationen als Trainer: bei einem Zweitligisten in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Weißrussland, bei einem unterklassigen Verein in Mexiko ... Er verkam zu einer tragischen Figur, zu einem fetten Clown. Diego Armando Maradona war nicht nur ein Gott, sondern auch ein Mensch mit Schwächen. Ein Genie am Ball, abseits des Platzes aber ein hilfloser Dilettant mit Bauernspitz. Er hat mit einem Luftdruckgewehr auf Journalisten geschossen, peinliche Auftritte im Fernsehen abgeliefert und war als Trainer so erfolgreich wie ein Kleinwüchsiger beim Basketball. Ein großes Kind, dem alles verziehen wurde. Ein Mensch, der es nicht verwand, ein Gott zu sein.

Es gibt andere Götter: Pele, Garrincha, Cruyff, Zidane, Messi, Ronaldo, aber kaum einer hat mit seinem Spiel die Menschen so beglückt wie er. Seine Kunststücke haben alles Irdische vergessen lassen, vollkommene Transzendenz erreicht. Nach Maradona wurde eine Kirche benannt, und Argentinien hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Wer ihn spielen gesehen hat, weiß, warum. Hoffen wir, dass ihn der Himmel kicken lässt.