Nach vielen Jahren der Sklaverei in Ägypten und des Umherirrens in der Wüste zog das Volk Israel endlich in das Gelobte Land. So erzählt es die Bibel. Zu diesem Land der Verheißung Gottes, God’s own country, sollten ab dem 16. Jahrhundert für viele europäische Emigranten die USA werden. Dafür waren vor allem zwei Gründe ausschlaggebend: Während es am alten Kontinent strenge Kirchenstrukturen gab, je nach Region katholisch, evangelisch, anglikanisch oder orthodox, war Religion am neuen Kontinent eine persönliche Angelegenheit – und als solche auch in der Verfassung niedergeschrieben. Darüber hinaus wurde das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ für viele – um mit der Bibel zu sprechen – zu einem Land, in dem Milch und Honig fließen.
Beides findet sich auch am Bible Belt, einem „Gürtel“, der sich von Texas im Südwesten bis Virginia im Nordosten zieht und der religiös dem evangelikalen Protestantismus zugerechnet wird. Wie bereits am Begriff ersichtlich, wird er dem Protestantismus zugerechnet. Trotzdem unterscheidet er sich deutlich von dessen Hauptzweig, in den USA „mainline protestantism“ genannt – und das von Beginn an: Martin Luther, aber auch andere Reformatoren hatten die Bibel zum Grundpfeiler ihrer Theologie gemacht (Sola-scriptura-Prinzip). Im Laufe der Zeit mehrten sich jedoch die Stimmen, wonach diese Betonung der Schrift zu einer Intellektualisierung des Glaubens und so zu einem Verlust der Frömmigkeit geführt habe. Oder anders gesagt: Seinen Glauben durch ein gottgerechtes Leben zu demonstrieren, sei deutlich wichtiger als theologische Lehrmeinungen. Diese Feststellung gehört bis heute zum Herzstück des Evangelikalismus.
Daher spielt die Kirche – etwa im Vergleich mit dem katholischen Bereich – eine deutlich geringere Rolle, vielmehr dominiert die persönliche Beziehung zwischen Gott und dem Gläubigen. Diese 1 : 1-Beziehung übertrug sich in der Folge auch auf das Wirtschaftsmodell des „Bible Belt“: Jeder Einzelne trägt für sich selbst Verantwortung, es gibt wenige Sozialleistungen, die Staatsmacht ist gering, es existiert ein kapitalistisches Streben nach Gewinn, alte Hierarchien wie Adel, Staatskirche oder Klassengesellschaft werden abgelehnt. All diese Faktoren zusammengenommen prägen auch die amerikanische Variante des Konservativismus, der sich damit deutlich vom europäischen abhebt, wie etwa Michael Hochgeschwender, Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, betont. Auffällig ist auch der Bildungsgrad, der unter dem US-Schnitt liegt, die Zahl der Teenager-Schwangerschaften liegt wiederum über dem Durchschnitt.
Ein weiterer Grundstein des Evangelikalismus ist die Autorität der Bibel – darauf bezieht sich auch der Begriff evangelikal. Allerdings wird sie – anders als etwa im „mainline protestantism“ wortwörtlich ausgelegt und nicht historisch-kritisch, wie das heute in der Bibelexegese üblich ist.
Das renommierte Pew-Institut beziffert den Anteil von evangelikalen Christen an der US-Gesamtbevölkerung mit 26,3 Prozent. Wobei heute die Abgrenzung zwischen den einzelnen religiösen Gruppen – Protestanten, Katholiken oder Juden – abnimmt, jene zwischen Religiösen und Nicht-Religiösen hingegen steigt. Religionssoziologen sprechen dabei von einem „God gap“, einem „Gottesspalt“. Diese Zweiteilung findet sich auch in der politischen Ausrichtung wieder: Republikaner versus Demokraten. Der Politologe und Soziologe Robert David Putnam: „Politische und religiöse Spaltungen bestärken einander somit gegenseitig, anstatt sich wechselseitig abzuschwächen.“
Bei den letzten US-Wahlen 2016 konnte Donald Trump – er gehörte einst der presbyterianischen Kirche, einer „mainline church“, an, definierte sich aber zuletzt als „konfessionslos“ – die evangelikalen Christen im Land von sich überzeugen. Dieses Mal ist die Ausgangslage eine andere, meint Historiker Timothy Naftali von der New York University: „Biden spricht so selbstverständlich über seinen Glauben wie kein anderer Demokrat.“ Das helfe ihm, in Trumps evangelikale Kernwählerschaft vorzudringen. Und Michael Wear, einst Berater von Präsident Barack Obama in Religionsfragen: „Wenn Biden mindestens 23 Prozent im evangelikalen Lager holt, gewinnt er die Wahl.“