Es ist erstaunlich: Zwar sind 70 Prozent der Erde mit Wasser bedeckt, aber nur eine Handvoll Säugetiere hat das Wasser zu ihrem Lebensraum auserkoren. Typisch Landratte, sagt der erste Impuls und liegt doch falsch: Ratten sind nämlich ausgezeichnete Schwimmer. Der Mensch mag sich bisweilen aalglatt gebärden, aber Fisch ist er deshalb noch lange nicht. Der Zweibeiner muss sich diese Kulturtechnik erst beibringen, auch wenn viele Menschen von sich behaupten, das Wasser sei ihr Element.
Das ist auch stimmig, denn das Wasser ermöglicht einen Zustand, der einzigartig ist: Schwerelosigkeit. Der ansonsten so träge, an die Erde gebundene Körper wird leicht, Bewegungen werden fließend, man entspannt sich.
Niemand weiß das besser als die Schwimmlehrerin Manuela Stefanski: „Im Wasser lösen sich Grenzen auf, es findet Leichtigkeit statt, Wasser kühlt, Wasser wärmt, es lässt einen schwerelos sein.“ Das klingt jetzt alles leicht, vor allem für jene, die schon schwimmen können, aber das werden immer weniger: Rund 700.000 Österreicher können nicht schwimmen, bei den unter 19-Jährigen kann gar nur die Hälfte schwimmen – alarmierende Zahlen, die das Kuratorium für Verkehrssicherheit im Vorjahr veröffentlichte. Das klingt fast so, als würde sich der Mensch wieder auf seine Wurzeln besinnen und dem Wasser den Rücken kehren, doch das ist weit gefehlt, denn gerade am Land boomen Pools unterschiedlichster Machart: vom Edelstahlpool bis zum Aufstellpool für die kurze Abkühlung – der Klimawandel schürt die Sehnsucht nach dem Nass. Und hier liegt auch die Tücke, denn selten gibt es einen schmaleren Grat zwischen Wonne und Tod. Wer schwimmen kann, hält sich mit Leichtigkeit über Wasser, wer nicht schwimmen kann, der geht zwangsläufig unter. In Österreich ertrinken rund 40 Menschen jährlich.
Schwimmen ist aber nicht nur eine Überlebenstechnik, sondern wie bei vielen Kulturtechniken eine Form von Weiterbildung. Das war offenbar schon bei den Römern so, obwohl man das mit dem Bildungsvergleich vielleicht doch ein bisschen hoch angesetzt hat: Wer ungebildet sei, könne weder lesen noch schwimmen. Wobei, der Begriff Nichtschwimmer hat sich auch im normalen Leben etabliert – man ist einer Sache nicht gewachsen.
"Schwimmen verleiht uns ein Gefühl der Sicherheit"
Was das Schwimmen betrifft, lernt man als Mensch übrigens doppelt oder, anders gesagt, man lernt etwas, was man verlernt hat: Denn Babys, die neun Monate lang im Fruchtwasser aufgewachsen sind, verfügen über Atemschutz- und Kriechreflexe, die in späteren Lebensmonaten jedoch verloren gehen. Die Affinität von Kindern zu Wasser ist jedoch unbestritten. Umso wichtiger ist es, sich aktiv mit dem Wasser auseinanderzusetzen. „Zunächst vorsichtig, teilweise sogar schüchtern oder ängstlich, aber dennoch neugierig“, schildert Schwimmlehrerin Manuela Stefanski die breite Gefühlspalette am Beginn eines Schwimmkurses. Die Erfolgskurve geht meist steil nach oben, wenn, wie bei den meisten, „die Freude am Wasser entdeckt wird“. Am Ende steht ein echtes Erfolgserlebnis: „Wenn ein Kind die ersten Züge ohne Hilfe schafft, dann entstehen Glücksgefühle. Das Kind hat einen Meilenstein in seinem Leben geschafft. Schwimmen verleiht uns ein Gefühl der Sicherheit, unser Selbstbewusstsein wird gestärkt.“
Das ist eine andere Form von Auftrieb, auch, weil man damit die Schwimmhilfen abstreift, die nicht ohne Witz Schwimmflügerl heißen. Aber wer ein Level aufgestiegen ist, der erkennt den übergroßen Unterschied: Mit plantschen und schwimmen können verhält es sich in etwa wie mit hüpfen und fliegen können. Der Vergleich ist lachhaft. Schnell wird man noch andere Qualitäten der Symbiose zwischen Mensch und Wasser entdecken, so Stefanski: „Auf dem Wasser liegen und in den blauen Himmel blicken, das verleiht das Gefühl, ganz frei zu sein und dennoch geborgen zu sein.“ Diese Form der Sicherheit gehört auch zum Erfahrungsschatz von Schwimmern, wie der Autor und Dramaturg John von Düffel in seinem Buch „Gebrauchsanweisung fürs Schwimmen“ schreibt. Er nennt es: „Das Wasser mit allen Sinnen lesen können.“ Einer, der das zur Perfektion gebracht hat, ist Josef Köberl.
Aufgewachsen am Grundlsee, ist das Schwimmen seine Passion. Die Umstände sind jedoch andere, als man auf den ersten Blick denken könnte: Also weniger die täglichen Längen im Pool, sondern lieber im Toplitzsee, aber vor allem nahe der Ranftlmühle bei einem Wasserfall, weil es dort konstant fünf Grad hat. Josef Köberl, muss man wissen, ist Extremschwimmer. Er durchquert ganze Seen auch unter unwirtlichsten Temperaturen, 2015 hat er gar den Ärmelkanal durchquert. Das Schwimmen ist für ihn das Maximalerlebnis in der Natur: „Manche sammeln Briefmarken, ich gehe lieber schwimmen und erlebe so die Natur in allen Facetten.“ In tiefen Seen, mitten im Meer oder nachts in der Donau zu schwimmen, das alles ist ein Transformationsprozess, bei dem man sich auch seine Ängste abtrainiert. Fünf Jahre lang hat er für die Durchquerung des Ärmelkanals trainiert, sein erster Meilenstein war die Durchquerung des Hallstätter Sees: „Den habe ich nach fünf Wochen Vorbereitung durchschwommen und beim Rausgehen habe ich gewusst: Das Wasser, das ist mein Element.“
Aber eines, das nicht beherrschbar ist, dementsprechend gilt es, alle Unwägbarkeiten vielfach durchzuspielen – vom Riss in der Badehose über den Verlust der Schwimmbrille bis zur möglichen Übelkeitsattacke. Den Ärmelkanal hat er an einem trüben Nachmittag in Angriff genommen. Das Wasser hatte rund 18 Grad, viele Quallen, Müll und große Schiffe: „Ich bin die ganze Nacht durchgeschwommen und da gibt es die Separationszone, wo es keine Gezeiten und Strömungen gibt, wo es sehr ruhig ist. Rund um dich ist es finster, das Meer ist schwarz, aber wenn du zurück nach England schaust, siehst du die Schiffe wie auf einer Perlenkette aufgefädelt, neben dir nur das Begleitboot: Du schaust nach oben in den Sternenhimmel, schwimmst dort komplett frei und nichts engt dich ein. Das hat etwas Magisches.“ Die Schwimmzeit: 14 Stunden und 21 Minuten.