... Ich muss Dich nicht fragen, wie es Dir geht. Das hast Du mir bei unserem letzten Video-Telefonat ohnehin berichtet. Du bist ein alter Hase, was WhatsApp und Skype betrifft, meine Reisen haben Dich gut trainiert. Aktuell kann ich Dir aber keinen Ausblick vom Tokyo Tower oder eine Führung durch Washington bieten, sondern nur das Ergebnis meiner spärlichen Kochkünste. Du freust Dich trotzdem.
In diesen seltsamen Tagen denke ich oft daran, was gewesen wäre, wenn Deine Eltern noch am Leben wären. Die wertvolle 24-Stunden-Pflege hinge am seidenen Faden und den Opa hätte man nicht-menschenrechtskonform einsperren müssen. Ich seh ihn vor mir, wie er die Augen verdreht – „Ich hab schon ganz andere Sachen überlebt“ –, seine Kappe aufsetzt und nach draußen spaziert.
Um ehrlich zu sein: Ich habe befürchtet, dass ich mir hier auch um Dich Sorgen machen muss. Eine Frau, die mit Würfelrunden, Kaffeehaus-Besuchen und Tennis-Matches ihr Leben genießt und sich mit Hingabe um andere kümmert, soll daheimbleiben? Aber Du tust es, auch wenn ich weiß, dass es Dir schwerfällt. Und Du Dich manchmal einsam fühlst. Wie wir alle.
Nähe in der Ferne
Wir beide sind Abstand gewöhnt, die 400 Kilometer zwischen Spittal/Drau und Wien können auch sonst nur ab und an überwunden werden. Aber wir haben Wege gefunden, uns in der Ferne nah zu sein – vor allem jetzt. Wir plaudern beim Spazierengehen, tauschen Rezepte aus und diskutieren über die beste Einstellung für Kuchen (Umluft oder Ober-Unter?!). Und wird die Sehnsucht zu groß, genügt ein Griff ins Tiefkühlfach, um Dich in Form deiner per Kühltasche nach Wien transportierten Kärntnernudel bei mir zu haben.
Und so verbringen wir auch den heutigen Ostersonntag gemeinsam. Zwar nicht mit Fleischweihe und Festmahl bei der Verwandtschaft, sondern am Bildschirm. Aber trotzdem mit Eiern, Schinken und Osterzopf. Tradition bleibt Tradition. Nur für das Eierpecken müssen wir uns etwas einfallen lassen ...