Wären die Briten ein großes Bienenvolk, der Brexit wäre längst über die Bühne gegangen und würde nicht, mehr als 1000 Tage nach der Abstimmung, immer noch heiß diskutiert. Nein, Bienen wüssten, was in Großbritannien zu tun ist: Wer gehen will, soll gehen - und nicht allein. Queen Elizabeth II. ließe ihre Kundschafterinnen ausschwärmen, würde sie vor dem Volk ein Überzeugungstänzchen aufführen lassen und bräche schließlich mit den Abtrünnigen zur letzten großen Reise in unbekanntes Terrain auf. An ihrer Stelle würde eine Nachfolgerin den britischen Thron besteigen. Bixit statt Brexit, tanzen statt streiten.
Der Frühling hat seine Reisegeschwindigkeit längst erreicht. Es blüht, duftet, gedeiht und für die Honigbienen hat nach der in der Wartehaltung verbrachten Winterruhe die Zeit der ihnen zugeschriebenen Emsigkeit begonnen. Der einnehmende Geruch der ersten blühenden Obstbäume ruft und die fliegenden Sechsbeiner folgen hörig, während sie den ersten Pollen und Nektar des Jahres einsammeln.
Nicht nur der sagenhafte Fleiß, das süße Gold des Honigs und eine zunehmende Wertschätzung für ihre Bestäubungsleistung lassen Bienen in ihrer öffentlichen Bedeutung über sich hinauswachsen: Es ist die alte Faszination für den Bienenstaat mit seinen Zehntausenden Einzelindividuen, an deren Spitze eine Königin steht, die zugleich Sklavin und Herrin ist. Einige Entscheidungen fallen kollektiv, demokratisch und sind dennoch erfolgreich. Vom Bienenstaat lässt sich lernen - auch politisch und nicht nur in Zeiten des Brexit.
Wie funktioniert das Gewusel, wem gehört die unsichtbare Hand, die im Bienenstock den Plural als Singular auftreten lässt, die aus den Einzelindividuen den Superorganismus Bien macht? Spätestens seit der Antike versucht der Mensch, das Sozialverhalten der Bienen auf jenes der Menschen zu übertragen oder Rückschlüsse auf die ideale Staatsform zu erlangen. Aristoteles zählte Bienen zur kleinen Gruppe der sozialen Tiere, wobei der Mensch durch seine Sprache „in höherem Grad ein politisches Tier“ sei als die Biene. Einen Schritt weiter ging Seneca, der die Biene zum politischen Idealkonzept erhob und Kaiser Nero empfahl, die menschliche Gesellschaft möge sich an der Organisationsform der Insekten ein Vorbild nehmen. Den Bienenkönig - man ging damals von männlicher Herrschaft aus - verstand Seneca als gütige, deeskalierende Figur. Was Seneca verschwieg oder nicht wusste: Fällt die Königin in Ungnade, ist die Nachkommenschaft in bester Brutus-Manier zum Elternmord bereit. Eine letale Form der Abwahl und Beleg für eine Art Volkssouveränität.
„Stirbt die Biene, stirbt der Mensch“: Auf das hohe Emotionalisierungspotenzial von „Sumsi“ setzt nicht nur die Werbebranche verlässlich und nicht selten plump, auch in der Politik taucht die Biene als Aufmerksamkeit garantierendes Argument auf. In Bayern wurden unter dem Titel „Rettet die Bienen“ die Stimmen von 1,7 Millionen Bürgern eingesammelt - das sind 18,5 Prozent der Wahlberechtigten. Was einen Schluss nahelegt: Mit Bienen ließen sich Wahlen gewinnen. Und: Mit „Rettet die Hummeln“ läge das Ergebnis mutmaßlich darunter. Den Initiatoren mag es einerlei sein, denn das Kampagnentier ist Botschaft und Botschafter zugleich: Wer Artenschutz großschreibt, ist gut beraten, eine Biene dazuzuzeichnen.
Zurück im Bienenstock: Es wird kein Fest geben oder zumindest lässt es sich für den Imker nicht erkennen, ob sich die Bienen dieser Tage über den ersten Drohn, die erste männliche Biene des Jahres freuen. Im Winter ist das Bienenvolk ein Matriarchat, erst im Frühling schlüpfen wieder Drohnen. Im Spätsommer werden die stachellosen Männchen grob aus dem Stock gedrängt und ihrem Schicksal überlassen. Nicht nett, aber die brummenden Männchen sind eben zu wenig mehr als zur Begattung zu gebrauchen.
„Träges Vieh“, schrieb der Dichter Virgil über die Ungeliebten und Waldemar Bonsels machte den faulen Willi zum Prototyp wenig funkelnder Bienen-Männlichkeit. Auch in seiner „Biene Maja“ hat das Insekt eine politische Funktion: Wie Bernhard Viel in seiner Bonsels-Biografie ausführt, waren dessen 1912 erschienene Abenteuer der „Biene Maja“ im Ersten Weltkrieg in den Tornistern eines jeden Soldaten zu finden. „Maja“ als Kriegslektüre, die in ihrer tradierten Naturidylle das Abschlachten in den Schützengräben kontrastiert. Geschrieben von einem Opportunisten mit antisemitischer Schlagseite.
Das demokratische Wesen, ja, der demokratische Zauber im Bienenvolk, zeigt sich mustergültig im Schwarmverhalten. Die Auszugswilligen - wie in Großbritannien sind es auch im Bienenstock mehrheitlich die älteren Mitglieder - sammeln sich zunächst in einer Bienentraube. Die Kundschafterinnen tanzen am Rücken ihrer Schwestern das Ergebnis ihrer Suche, bis eine Einigung erzielt wird. So wie das britische Unterhaus, nur eben tanzend und summend. Und dann? Ja, dann beginnt die große Reise.