Wir wollen die Menschen auf eine Entwicklung in unserem Leben hinweisen. (...) Wir haben beschlossen, uns scheiden zu lassen.“ Mit diesem Tweet ging Jeff Bezos am 9. Jänner zur Gegenoffensive über. Zwei Tage zuvor war er von Reportern der amerikanischen Boulevardzeitung „National Enquire“ schwer unter Druck gesetzt worden. Die Journalisten waren der außerehelichen Beziehung von Bezos auf der Spur, hatten sich mit Nacktfotos des charismatischen Glatzkopfs und intimen SMS-Botschaften an die TV-Moderatorin Lauren Sánchez aufmunitioniert.

Keine normale Schlammschlacht mit der Skandalpresse, kein normaler Rosenkrieg zwischen einem Promi-Ehepaar. Denn bei Jeff Bezos handelt es sich nicht nur um den reichsten Mann der Welt. Sein Vermögen wird mit rund 115 Milliarden Euro angegeben. Bei Bezos handelt es sich auch um einen der erfolgreichsten Unternehmensgründer der Geschichte und um einen Intimfeind von US-Präsident Donald Trump, den Bezos – nachdem er selbst einen Privatdetektiv angeheuert hatte, um den Ursprung des Leaks aufzudecken – auch gleich als sinistren Drahtzieher hinter der vielschichtigen Affäre vermutete und daraufhin die Staatsanwaltschaft wegen Trumps eigener angeblicher Liebschaften und Schweigegeldüberweisungen einschaltete. Es ist ein Gigantenduell auf Sandkastenniveau.

Die Proteste gegen das Amazon-Headquarter in New York zeigten Wirkung
Die Proteste gegen das Amazon-Headquarter in New York zeigten Wirkung © (c) AP (Karen Matthews)

Gegenwind ist Bezos bisher nur als Gründer und Chef von Amazon gewohnt. Zuletzt blies er ihm besonders heftig ins Gesicht. So formierten Lokalpolitikern und Aktivisten eine derart massive Abwehrfront gegen das geplante neue Amazon-Hauptquartier in New York inklusive 25.000 neuer Jobs, dass Bezos das Vorhaben Mitte Februar absagte. Es ist nach regelmäßigen Protesten wegen der miserablen Arbeitsbedingungen in den Paketverteilerzentren des Onlinehändlers der bislang massivste Widerstand. – Auch wenn in den letzten Tagen zahlreiche Unternehmer, Kirchenvertreter und Politiker aus New York in einem offenen Brief vor dem Selfmade-Milliardär zu Kreuze krochen. „Wir alle hoffen, dass Sie Ihre Entscheidung überdenken und sich uns bei der Gestaltung der aufregenden Zukunft von New York anschließen“, hieß es in dem Schreiben untertänigst.

Es zeigt, dass Bezos längst nicht nur im globalen Geldadel die Rolle des Primus inter Pares eingenommen hat, sondern dass er auch in der politischen Arena als Schwergewicht wahrgenommen wird. Nicht zuletzt dank seiner Unfassbarkeit. Der 55-Jährige versteht sich selbst als „libertär“, analysiert ihn der deutsche Publizist Werner Rügemer: Das sei als Steigerungsform von „liberal“ zu verstehen in Richtung noch größerer Aggressivität gegenüber Staaten, Gewerkschaften und generell jeder Form verbindlicher Gemeinschaftlichkeit. Bezos ist ein berechnender, aber unberechenbarer Einzelgänger.

Jeff Bezos im Amazon-Headquarter in Seattle
Jeff Bezos im Amazon-Headquarter in Seattle © (c) AP (Ted S. Warren)

Das, obwohl seine eigene Geschichte weit weniger spektakulär und disruptiv daherkommt als jene der von ihm gegründeten Unternehmen. Bezos wächst als Sohn eines exilkubanischen Stiefvaters, der Manager in der Mineralölwirtschaft ist, im Dunstkreis des Großkapitals auf, studiert an der Eliteuniversität Princeton, arbeitet als Broker bei einem Hedgefonds in New York. Bis er sich 1994 selbstständig macht – mit einer digitalen Handelsplattform für Bücher. Bezos hatte sie auf der Suche nach einem Produkt, das einfach über das damals noch in den Kinderschuhen steckende Internet zu vertreiben ist, als die beste Lösung ausgemacht.

Wie jeder Gründungsmythos der jüngeren (amerikanischen) Wirtschaftsgeschichte kommt auch dieser nicht ohne eine Garage als Urzelle aus. Im Fall von Amazon stand sie – aufgrund von regionalen Steuervorteilen für den Onlinehandel – in Seattle. Heute ist Amazon längst mehr als ein digitaler Buchhändler. Der Konzern ist zu einem Koloss gewachsen, der seine Finger überall im Spiel zu haben scheint (siehe rechte Spalte): Vom Handel mit Waren aller Art (und verstärkt auch von Eigenmarken) über Elektronikgeräte bis zu Medien- und Unterhaltungsbranche, von Raumfahrtaktivitäten bis zum hochlukrativen Bewirtschaften von virtuellen Datenspeicherräumen reicht das Reich des Ultrareichen. Im Schatten des populären, aber margenschwachen Handels ist es vor allem das Cloud-Business von Amazon Web Services (AWS), das mit Margen von bis zu zwanzig Prozent und mehr die Kassen klingeln lässt und in den letzten Jahren zu Bezos’ eigentlicher Gelddruckmaschine avanciert ist.

Auslieferung am laufenden Band: Amazon-Lager
Auslieferung am laufenden Band: Amazon-Lager © APA/AFP/JOHANNES EISELE


Die teils völlig unterschiedlichen Geschäftsbereiche eint aber ein strategischer Ansatz, den Bezos dogmatisch zelebriert: zwanghafter Innovationsdruck, obsessiver Fokus auf den Kunden und eine fast manische Effizienzhysterie. Legendär ist in diesem Zusammenhang Bezos’ Managementansatz der „Two Pizza Teams“: Die einzelnen Produktteams sind in der Regel nur so groß, dass sie von zwei Pizzen satt werden. Die kleinen Einheiten sollen Flexibilität garantieren. Gefürchtet sind Sitzungen mit Bezos, bei denen er die von den Mitarbeitern vorzubereitenden, knapp verfassten Unterlagen – „Six-Pager“ genannt – auf Schwachstellen abklopft. Diese Akribie spiegelt sich auch in jenem Namen wider, den Bezos seinem Unternehmen eigentlich geben wollte: „relentless“ („unerbittlich“). Die entsprechende Internetadresse hatte er sich damals schon gesichert. Und es gibt sie immer noch. Sie führt heute direkt auf die Seite von Amazon.