Sie klingen wie aus dem Labor eines verrückten Professors: der mitzählende Bieröffner, die Kiwi-to-go-Box, das Staubschwert, der Bananenschneider und die Backform mit der Aussparung für ein Probierstückchen – das ist eine Hitliste von Produkten, über die sich eine gar nicht so kleine Internetgemeinde seit Jahren beständig lustig macht. Denn die Produkte sind Teil eines Konzeptes, das schon sehr lange sehr gut funktioniert: Ein Kaffeehändler bietet Woche für Woche eine neue, bunte Warenwelt zum Kauf. Während die einen meinen, es handle sich um Dinge, die die Welt nicht braucht, schaffen sich andere über Jahre hinweg ein Produktuniversum, das oft nur von einer hartnäckigen Staubwolke zusammengehalten wird. Die innere Logik ist nicht einfach zu beantworten: Was war zuerst da, das Produkt oder das Bedürfnis danach?

Es gibt viele Worte für eine Gesellschaft, die im Überfluss schwelgt: Konsumgesellschaft, Wegwerfgesellschaft, Wohlstandsgesellschaft. Und sie kann einen in den Wahnsinn treiben, irgendwann erkennt man: Ja, es ist vielfältig, das eigene Reich, aber leider ist der, der mittendrin steht, nur der Hofnarr. Der Ritter in der glänzenden Rüstung ist eine zierliche Japanerin, die mit ihrem Verzichtskonzept derzeit ordentlich Staub aufwirbelt. Marie Kondo, ihre Bücher sind Bestseller, nicht umsonst widmet ihr der Streamingdienst Netflix eine eigene Serie. Darin zeigt sie Menschen, die an ihrem eigenen Überfluss fast verzweifeln, ein Licht am Ende des Tunnels. Mit einem speziellen Aufräumkonzept schlägt sie eine Schneise in die Wohnräume. Für Außenstehende klingt das nicht selten surreal, die Tränen so mancher Klienten sind verstörend.



Und doch erkennt der Profi dahinter ein anderes Muster als der Laie. Denn oft ist das, was sich im Leben auftürmt, nur die Spitze des Eisberges. Ein Symptom, das die Ursache verdeckt.
Einer, der es wissen muss, ist Jens Förster, Sozialpsychologe und Autor des Buches „Was das Haben mit dem Sein macht“. Das Buch war die Antwort auf eine Entwicklung, die er selbst durchmachen musste: Viel Stress und lange Arbeitstage, der Arzt riet ihm kürzerzutreten. Was er erst dann bemerkte: Er saß in einer riesigen Wohnung, die mit einer Unzahl unterschiedlichster Dinge vollgefüllt war. Und er erkannte: „Ich habe versucht, mir den Stress schönzukaufen. Ich bin mit meinem sehr guten Gehalt jeden Tag in ein Kaufhaus gegangen und habe mir irgendetwas als Belohnung geschenkt. Das funktioniert am Anfang, aber irgendwann funktioniert es nicht mehr.“ Und Förster hat die Reißleine gezogen. Die Bilanz nach einem Monat Ausmisten: Siebzig 60-Liter-Müllsäcke waren vollgefüllt, er besaß nur mehr ein Zehntel seiner Kleidung und kündigte seine Wohnung.

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Marie Kondo beim Aufräumen
Marie Kondo beim Aufräumen © Netflix

Das Ausmisten war für ihn ein psychischer Befreiungsschlag, Förster musste sich erst physisch durchgraben, um wieder Luft schnappen zu können: „Erst dann hat sich bei mir das Gefühl eingestellt, wieder an die Essenz zu kommen. Also an das, was ich wirklich will.“
In der Folge begann Förster, sich intensiv mit dem Thema Konsum zu beschäftigten. Für ihn hat das Haben zwei unterschiedliche Ausprägungen: Eine davon will den eigenen Besitz vermehren und somit den Status vergrößern. Das ist der eher ungesunde Weg, wie Förster betont. Einer, der in einer Konsumgesellschaft geradewegs ins Hamsterrad führt: „Das Auto, das ich heute kaufe, ist morgen schon wieder weniger wert. Und so muss ich am Ball bleiben, um mithalten zu können.“ Nicht selten führe das ins Burnout, so Förster, der auch als Therapeut tätig ist. Die andere Form des Habens, so der 54-Jährige, „das ist das Haben, um zu sein“. Das sind Güter, die man für seine Persönlichkeitsentwicklung braucht: „Wie etwa ein Musiker, der auch eine Geige braucht, um sich verwirklichen zu können.“

Was das Haben mit dem Sein macht: Die neue Psychologie von Konsum und Verzicht
Was das Haben mit dem Sein macht: Die neue Psychologie von Konsum und Verzicht © Pattlock

Wir sind faul und gesättigt

Davon kann die Erde als Gastgeberin für die Konsumgesellschaft ohnehin nur träumen, denn deren Bedürfnisse sind mittlerweile so groß, dass etwa 2018 die natürlich verfügbaren Ressourcen für das ganze Jahr schon Ende Juli aufgebraucht waren. Zum Vergleich: 1971 war dieser „Welterschöpfungstag“ noch am 21. Dezember, seitdem übersteigt der jährliche Verbrauch kontinuierlich die global zur Verfügung stehenden Ressourcen. Sogar Papst Franziskus hat es sich in schöner Regelmäßigkeit zur Aufgabe gemacht, vor den Exzessen der Konsumgesellschaft zu warnen, während im Schleppnetz der sozialen Medien die Weltverbesserersprüche zappeln: „Wir kaufen viel und genießen wenig“ oder „Warengötter waren stets die wahren Götter“ und besonders geistreich: „René Discount: Consumo, ergo sum.“

Doch die Besitzstandswahrung bleibt hoch im Kurs: „Wir leben in einer sehr gestressten Gesellschaft, zum Teil entsteht der Stress auch durch Konsum. Da sind wir sicherlich übersättigt und ein bisschen faul“, so Jens Förster. Doch dem Befund schickt er eine kräftige Ladung Optimismus hinterher: „Ich sehe einen gesellschaftlichen Umschwung in der Jugend, die für den Klimaschutz wieder auf die Straße geht.“
Das ist nur logisch, wer will schon von einer ordentlichen Wohnung in eine unordentliche Welt stolpern?