Ob Intellektuelle oder Fabrikarbeiter, ob Händler oder Künstler – Freitag nach der Arbeit werfen sich russische Stadtbewohner in Moskau, St. Petersburg oder Nowosibirsk mit ihrem Auto in den Stau, um der Enge des Plattenbaus zu entkommen. Sie alle haben nur ein Ziel – ihre Datscha auf dem Land. Hier ruht man aus, Obst und Gemüse werden geerntet, Pilze gesucht, geangelt und eingekocht und mit Freunden und Nachbarn ausgiebig gefeiert. Oben der Sternenhimmel und unten Gelsen und reichlich Wodka.
Im Sommer sind diese Refugien, in typischer Ausformung aus Holz mit Blechdach, oft Hauptwohnsitz, Kinder verbringen die Ferien hier bei Oma und Opa, während die in der Stadt rackernden Eltern am Wochenende zu Besuch kommen.

Eine Datscha war schon immer ein Glücksfall. Seinerzeit für Adelige und Großbürgertum, die vom Zaren Grundstücke und Höfe für treue Dienste geschenkt bekamen und in diesen Sommerhäusern prächtige Feste und Bälle abhielten. Das damalige Lebensgefühl spiegelte sich bis ins Mobiliar und in der Mode wider.
Nach der Oktoberrevolution 1918 und der Enteignung machte es das Proletariat den adeligen Vorgängern gleich, ergebene Diener des kommunistischen Staates wurden mit einer Datscha ausgezeichnet. Als sich schließlich in den 1960er-Jahren die Zügel leicht lockerten, durfte jeder, der es sich leisten konnte, eine Datscha erwerben, allerdings nicht mehr als 600 Quadratmeter. Allemal Platz genug für eigene Apfelbäume, Beerenhecken und Gemüsebeete mit frischen Gurken.

Das sollte sich gerade vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion als wahrer Segen erweisen: Bei knapper und unsicherer Lebensmittelbeschaffung waren die Selbstversorger-Gärten allerletzte Rettung, bis zu 90 Prozent des Gemüses stammten in den 1990er-Jahren von dort. Heute sollen es noch immer 40 Prozent sein. Nur mit Blumen haben es Datscha-Besitzer nicht so besonders.
In Geschichte und Kultur spielte die Datscha seit jeher eine besondere Rolle. Schriftsteller und Hobbygärtner Anton Tschechow verfasste in seiner „weißen Datscha“ auf der Halbinsel Krim einige seiner bekanntesten Werke.

In Jalta auf der Krim: „Weiße Datscha“ von Tschechow
In Jalta auf der Krim: „Weiße Datscha“ von Tschechow © Heritage Images/Getty Images (Heritage Images)
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Vielleicht wäre der in der Sowjetunion lange verbotene Bestseller „Doktor Schiwago“ nie geschrieben worden, hätte Boris Pasternak nicht auf Geheiß von Josef Stalin eine Datscha in der Schriftstellersiedlung Peredelkino bekommen. Der Diktator selbst wusste die Annehmlichkeiten des Landlebens ebenfalls zu schätzen. Er besaß mehrere Sommerhäuser, eines am Rande von Sotschi. Ebenfalls am Schwarzen Meer empfing Russlands Präsident Wladimir Putin kürzlich Kanzlerin Angela Merkel mit weißen Rosen in seiner Luxusdatscha zu einem Vier-Augengespräch, an dem wohl auch unsichtbar der unberechenbare Ami teilnahm.  Passend heißt es in Russland: „Die Datscha ist für alle da. Und wer keine hat, geht zu Freunden oder Verwandten.“

Sotschi: Luxusdatscha mit Heimkino von Josef Stalin
Sotschi: Luxusdatscha mit Heimkino von Josef Stalin © ullstein bild via Getty Images (ullstein bild Dtl.)