Da ist sie wieder einmal, die Kluft zwischen Realität und Internet. Während es draußen in der Natur sprießt, herrscht im Netz ein beinharter Verdrängungswettbewerb. Wer nach „Gras“ sucht, der muss lange graben, denn was einem da so als „Gras“ verkauft wird, ist ein bisschen mehr als nur profaner Rasen. Da muss auch Christian Berg vom Institut der Pflanzenwissenschaften an der Uni Graz laut lachen. Denn ganz falsch ist die Bezeichnung „Gras“ für bewusstseinserweiternde Pflanzen nicht, wie er erklärt: „Das liegt daran, dass das arabische Wort ‚Haschisch‘ tatsächlich ‚Gras‘ bedeutet. Grüne Flächen sind eher Rasen oder Wiesen, also eine Vegetationsform als Mischung verschiedener Gräser und Kräuter.“

Wollen wir doch einfach Gras über diese pikante Sache wachsen lassen. Dabei wären wir ohnehin beim Profi gelandet, denn Gras ist recht gut darin, sich durchzusetzen. Bauern und Hobbygärtner können ein Lied davon singen: Einmal nicht hingeschaut und schon spitzelt es frech noch aus der kleinsten Ritze. Das liegt in der Natur der Sache, wie der Botaniker Berg zu berichten weiß: „Es gibt 715 Gattungen und 10.550 Arten Gräser, es ist eine der artenreichsten Pflanzenfamilien und die am weitesten verbreitete. Als einzige Pflanzenfamilie kommt sie von der Arktis bis zur Antarktis vor, das schaffen nicht einmal die Korbblütler, die artenreichste Familie, die immerhin auf 23.600 Arten kommt.“

Botaniker Christian Berg
Botaniker Christian Berg © Monika Graber


Daraus ergibt sich eine gigantische Vielfalt. Kurz und lang, dick und dünn, borstig und weich und bisweilen so scharf, dass man sich daran schneiden kann. Unterschiedliche Farben und unterschiedliche Strukturen, die ganze Landstriche und Lebensräume dominieren, wie Berg aufzählt: „Steppen, Savannen, Röhrichte – Schilf ist auch ein Gras – und die großen Bambus-Wälder in den Tropen.“


Diese Lebensräume prägen den Menschen, seine Kultur und seine Bilder. So auch jenes, dass das frische Gras der Inbegriff von Frühling, Frische und Natur ist. Und natürlich der Erstkontakt: Wenn man nach einem langen Winter endlich das erste Mal wieder barfuß ins Gras steigt. Mehr Frühling geht nicht. Oder der Duft von frischem Gras, das gerade gemäht wird. Oder wenn sich Tom Waits mit ganz viel Herzschmerz an die schönen Stunden im „Green Grass“ mit seiner verflossenen Liebsten erinnert. Schöne Bilder, die aber längst nicht mehr den Tatsachen entsprechen. Der gern zitierte Satz „Da wächst schon lange kein Gras mehr“ ist vielmehr eine Zustandsbeschreibung. Das weiß natürlich niemand besser als der Botaniker selbst: „Die Wiesen und Weiden im menschlichen Umfeld waren früher einmal bunt blühende, artenreiche Lebensräume, die durch Aufgabe der Nutzung, Düngung, Umbruch, Neuansaat und zu häufigen Schnitt bedroht sind.“

"Die Menschheit lebt von Gras"

Der Mensch, er hinterlässt nicht nur überspitzt gesagt so oft verbrannte Erde. Dabei braucht der Mensch das Gras nicht nur, um darauf Golf zu spielen. Und schon gar nicht ist es übertrieben zu sagen, dass der Mensch das Gras braucht – wie einen Bissen Brot. Denn Christian Berg weiß, was viele nicht über das Gras wissen: „Die Menschheit lebt von Gras. Reis als die wichtigste Kulturpflanze der Welt, Weizen, Roggen, Mais, Hafer, Gerste, alles Gräser. Sollten die Gräser aussterben, hat die Menschheit ungefähr noch zwei Wochen zum Überleben.“ Der Mensch würde ohne Gras sprichwörtlich ins Gras beißen.

Auch Reis gehört zu den Gräsern
Auch Reis gehört zu den Gräsern © EPA (Made Nagi)

Die Alternative: sich ins Gras zu legen und ganz still sein. Hört man etwa das Gras wachsen, werden Sie wohl süffisant fragen. Ja, und das ist nicht nur im Reich von sehr fantasiebegabten Menschen möglich, sondern auch in der Wissenschaft. Zumindest haben es US-Forscher bereits beim Mais, das ein Süßgras ist, nachgewiesen. Mit sogenannten piezoelektrischen Kontaktmikrofonen haben US-Forscher um Douglas Cook von der New York University das Wachsen von Maisstängeln hörbar gemacht. Wie das klingt? So ähnlich, als würde ein Maisstängel brechen. Das hat damit zu tun, so die Wissenschaftler, dass beim Wachstum der Pflanze viele kleine Brüche passieren, die von der Pflanze repariert werden. Diese Art von Materialbruch sendet Schallwellen aus.

Kannst du den Mais wachsen hören?
Kannst du den Mais wachsen hören? © alphaspirit - stock.adobe.com

Wer sich jetzt vor dem Rasenmähen fürchtet, darf sich wieder beruhigen, so Botaniker Christian Berg: „Gräsern macht das nichts aus, unsere Rasengräser sind daran angepasst. Schade ist nur, dass Vorgartenrasen insgesamt so arm an Arten sind. Jeder sollte auch Gänseblümchen, Primeln, Braunellen, Hahnenfuß, Ehrenpreis, Schaumkraut und Margeriten in seinem Rasen haben – die Bienen würde es freuen.“ Ob es ein paar Tipps für Rasenfetischisten gibt? „Düngen, wässern, häufig mähen, vertikulieren.“ Das sagt der Experte, der Naturfreund aber hat eine andere Meinung dazu: „Menschliche Hyperaktivität ist der Feind alles Natürlichen.“