Sie haben nicht nur über John F. Kennedy Bücher geschrieben, sondern auch über Persönlichkeiten wie John Lennon, Shakespeare, Stalin. Welche Person würde Sie derzeit interessieren?
ALAN POSENER: Das hat mich meine Agentin auch gerade gefragt. Ich wusste keine Antwort, weil mich das derzeitige politische Personal ungemein langweilt. Über Merkel zu schreiben, ist zu früh und ein Buch über Trump würde zur Karikatur geraten.
Bevor wir zu Kennedy kommen, noch ein Satz zu Trump.
ALAN POSENER: Er ist schlicht eine Schande für Amerika.
Es gibt ein Lied von Lou Reed, das heißt: „The Day Kennedy Died“. Wo waren Sie an diesem Tag, dem 22. November 1963?
ALAN POSENER: Es gibt zwei Ereignisse, die ich buchstäblich verschlafen habe. Das eine war der Fall der Berliner Mauer, das zweite der Mord von John F. Kennedy. Im Fall Kennedy, ich war damals 14 Jahre alt, holte ich mir am nächsten Morgen die Zeitung, las vom Attentat und war natürlich geschockt. Mein Vater war übrigens sehr kennedykritisch, er hielt ihn für einen Taugenichts, einen Schaumschläger.
War er das? Oder war John F. Kennedy ein guter Präsident?
ALAN POSENER: Er war viel zu kurz im Amt, um das wirklich seriös beurteilen zu können. 1000 Tage, das war wenig. Und man muss sorgfältig abwägen zwischen seinen innenpolitischen Erfolgen bzw. Misserfolgen und seinem außenpolitischen Agieren. Innenpolitisch war er 1963 fast schon gescheitert. Wenn er nicht ermordet worden wäre, wäre das, was wir vor allem mit ihm assoziieren – die bürgerliche Emanzipation der schwarzen Bevölkerung – vermutlich gescheitert. Sein Nachfolger Lyndon B. Johnson hat den Tod Kennedys instrumentalisiert, um dessen Anliegen durchzusetzen. In diesem Sinn war Kennedy ein Märtyrer der Bürgerrechtsbewegung. Aber nicht, weil er wegen seiner Haltung erschossen wurde, sondern, weil sein Tod die entsprechende Gesetzgebung erst ermöglichte.
Und wie beurteilen Sie Kennedys Amtszeit außenpolitisch?
ALAN POSENER: Da hat er in 1000 Tagen mehr erreicht als so manche Präsidenten in zwei Amtszeiten. Kennedy hat die Welt mindestens zwei Mal vor dem Untergang gerettet. Das erste Mal beim Bau der Berliner Mauer 1961, und das ist für einen Berliner wie mich sehr schwer über die Lippen zu bringen. Als die Sowjets, angetrieben durch die ostdeutsche Regierung, die Mauer bauten, hätte es nahegelegen, diese Mauer wieder einzureißen – und alle internationalen Abmachungen hätten den Amerikanern recht gegeben. Dazu wurde Kennedy auch gedrängt. Aber indem er gesagt hat, wir sind zufrieden, wenn die Sowjets unsere Rechte im Westteil akzeptieren, hat er die Situation entschärft und wohl einen weiteren Weltkrieg verhindert.
Und die zweite Weltrettung?
ALAN POSENER: Das war natürlich die Kuba-Krise 1962. Der amerikanische Generalstab war der Meinung, dass man mit gezielten Luftangriffen die Raketenstellungen auf Kuba vernichten könne. Und die Sowjets würden nicht darauf reagieren, weil ja ihr Territorium nicht angegriffen wird. Kennedy hat das abgelehnt und einerseits öffentlich die Rücknahme der Raketen auf Kuba verlangt und in Geheimverhandlungen den Russen im Gegenzug angeboten, die Atomraketen, die in der Türkei stationiert waren, abzubauen. Das war sehr clever! Wie wir nachträglich wissen, hatten die russischen Kommandeure von Chruschtschow die Erlaubnis, im Falle eines US-Angriffs ihre Raketen abzuschießen. Diese Raketen hätten dann Städte wie New Orleans, Miami, Austin treffen und vernichten können. Und dann wäre auch Kennedy nichts anderes übrig geblieben, als Russland anzugreifen.
Der erste Satz Ihrer Kennedy-Biografie lautet: "Warum fasziniert uns JFK noch immer?"
ALAN POSENER: Ich fürchte, die Antwort ist zum Teil sehr banal. Der Mythos lebt, weil der Mensch tot ist. Das Schicksal, dass sich ein junger Hoffnungsträger zum alten, angepassten Sack entwickelt, das blieb Kennedy erspart. Er war zwar schon 46 Jahre alt, aber er ging als „junger Toter“ durch. Mit all der damit verbundenen Verklärung. Nur die Guten sterben jung, was für ein Unsinn!
Was war Kennedy für ein Mensch?
ALAN POSENER: Er hatte Witz und konnte gut mit Intellektuellen umgehen, obwohl er selbst keiner war. Sogar Hemingway sah in ihm den Prototyp eines Helden.
Ein Held mit vielen Schattenseiten. Kennedy war im Grunde ein schwerkranker Erotomane.
ALAN POSENER: Er war im Grunde todkrank. Und Erotomane ist noch eine charmante Untertreibung.
Wie wichtig war seine Frau Jackie für die Inszenierung?
ALAN POSENER: Kennedy selbst hatte eine problematische Herkunft. Er war irischer Abstammung, der Vater ein Gauner, der sein Geld mit Alkoholschmuggel und B-Movies machte. Das wollte Kennedy vertuschen, indem er Jacqueline Bouvier heiratete. Deren Vater war zwar auch ein großer Gauner, aber Jackie verkörperte europäische Eleganz und Stil. Die Bildung, die Kennedy nur vortäuschte, die hatte seine Frau tatsächlich. Bis zu den Kennedys war das Weiße Haus klamm und dunkel, aber mit Jackie zog der Glamour ein.
Letzte Frage: Wer steckt hinter dem Mord von John F. Kennedy?
ALAN POSENER: Ich sage: Lee Harvey Oswald! Er allein. Keine Verschwörung, keine Hintermänner. Diese Antwort ist so banal, dass sie viele nicht ertragen können.