Es ist fast so, als hätte Julia ihrem Romeo einen ordentlichen Kübel Wasser über den Kopf geschüttet: „Ich weiß jetzt gar nicht, ob es die ewige Liebe überhaupt gegeben hat“, wirft Zukunftsforscher Reinhold Popp dem jungen Montague den Fehdehandschuh hin und und schickt ein lautes Lachen gleich hinterher. Die Romantik am Ende? Wie soll das gehen? Recht einfach eigentlich, denn die Romantik ist kein Naturgesetz, sondern eine Erfindung des Menschen - eine recht neue sogar.
Beginnend mit 1800 bis Ende des 19. Jahrhunderts hat sich eine kulturelle Strömung - von der Literatur bis zur Musik - in unseren Köpfen bis heute festgesetzt. Und sie krallt sich fest mit der Vorstellung vom Ideal der großen Liebe, eingebettet in die allumfassende Sehnsucht. Sie setzt uns einen Floh ins Ohr, der uns ein Bild malt - mit einem Problem: Das Passepartout ist das falsche: „Erst in der Romantik ist die Idee der alles, auch die ökonomischen Fragen, übersteigenden Liebe zu einem Menschen in unseren Breiten ins Spiel gekommen. Zuvor waren Partnerschaften über weite Strecken so etwas wie Zweckgemeinschaften“, zeichnet Zukunftsforscher Popp die Evolution der Liebe nach. Wobei Zweckehe und siebenter Himmel wie die beiden Enden einer Welt sind. Genau so utopisch verhält es sich auch mit der Zusammenführung der beiden. Hier der Alltag, dort die Vision.
Doch es gibt eine Brücke und die nennt sich wenig romantisch ökonomische Veränderungen: „Partnerschaften und Familien entwickeln sich immer stärker von der Überlebensgemeinschaft hin zur Erlebnisgemeinschaft. Die ,Versorgungsehe' verliert an Bedeutung. Die Zukunft des Beziehungslebens realisiert sich immer stärker im Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Stabilität und der Sehnsucht nach Freiheit“, so Popp. Eine Entwicklung, die man auch an den Scheidungszahlen sieht: Fast jede zweite Ehe wird geschieden. Aber das Loveboat schwankt nur auf den ersten Blick, denn der Großteil der Paare trennt sich einvernehmlich.
Man beginnt wieder neu oder noch besser: Man kann aufgrund der ständig steigenden Lebenszeit mehrfach neu beginnen. Und das ist längst keine Frage des Alters mehr, wie auch Popp betont: „Heute gibt es bis in hohe Alter eine Vorstellung von Sexualität und vom Wunsch nach einer schönen Partnerbeziehung. Und wenn sich das mit dem bisherigen Partner, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausgeht, dann überlegt man sich Neues.“
Nicht einfügen und hinausträumen
Mit der zunehmenden Digitalisierung haben sich auch die Spielarten des Kennenlernens erweitert: Typgerechte Partnerportale und Dating Apps wie Tinder sind zwar im klassischen Sinne nicht romantisch, aber ist es deswegen ein Rückschritt? Wohl nicht, denn wir setzen uns aktiv mit dem Thema Liebe auseinander, wir übernehmen Selbstverantwortung. Liebe ist hierzulande nichts mehr, wo man sich hineinfügen muss - und sich in Gedanken gerne wieder hinausträumt.
Wer jetzt den völligen Verlust des Liebeswerbens durch die Digitalisierung befürchtet, der kann beruhigt sein. Man kann virtuell zwar Aussehen, Herkunft, Beruf und diverse Vorlieben abfragen, aber das reale Treffen nicht ersetzen. Zwar sind es auch biochemische Vorgänge, wie etwa der Geruch, der wichtig ist. Aber auch Einfühlungsvermögen oder Humor lassen sich nur im gemeinsamen Austausch ergründen. Oder wie es Popp formuliert: „Ohne umfangreichen Realitycheck gibt es keinen nachhaltigen Erfolg.“
Polyamorie - moderne Spielarten der Liebe
Die Moderne macht es möglich, dass sich auch andere Liebesformen etablieren, auch wenn sie alles andere als massenkompatibel sind. So wird etwa seit geraumer Zeit immer wieder die „Polyamorie“ diskutiert. Der Begriff beschreibt ein Beziehungsmodell, in dem Menschen in gegenseitigem Einverständnis Beziehungen zu mehreren Personen haben.
Eine andere Entwicklung hingegen dürfte in Zukunft niemanden von uns kaltlassen. Was auf den ersten Blick nach Science- Fiction klingt, wird zumindest im Fernsehen, derzeit in der Serie „Westworld“, schon anschaulich vorgeführt: Roboter, die nicht nur in Industrie und Haushalt mithelfen, sondern auch Sexpartner werden. Experten künstlicher Intelligenz gehen davon aus, dass Sexroboter bis spätestens 2050 Alltag sind. David Levy, Experte für künstliche Intelligenz und Autor des Buches „Love and Sex with Robots“, sieht sie jedoch nicht als Ersatz für menschliche Liebesbeziehungen, sondern als Ergänzung und Alternative. Doch die Theorie geht noch einen Schritt weiter: Könnte künstliche Intelligenz sogar zur Liebe fähig sein? Ausgeschlossen ist es nicht, aber ist der Mensch dazu bereit?
Vermutlich noch nicht. Denn bei all dem Fortschritt halten wir noch immer an einer geheimen Zutat fest, die weder Naturwissenschaft noch Bits noch Bytes ist: reine Magie.