Wolfgang Nairz war acht Jahre alt, als Hermann Buhl am elterlichen Küchentisch Platz nahm. Das große Idol des gebürtigen Innsbruckers Nairz hatte gerade einen der 14 Achttausender, den 8125 Meter hohen Nanga Parbat, erstbestiegen. „Mein Großvater Emil Hensler war ein Freund Buhls und ich habe dabei sein dürfen.“
Man schrieb das Jahr 1953 und die höchsten Berge der Welt wurden gerade „erobert“ - auf fünf 8000ern waren sogar Österreicher die Erstbesteiger: Neben dem Nanga Parbat auch Cho Oyu (8188 m), Dhaulagiri (8167 m), Broad Peak (8051 m) und Gasherbrum II (8034 m). Es war eine Zeit, in der Abenteuer noch am Küchentisch erzählt wurden, das Internet oder „Social Media“ gab es noch nicht. Später wurde „Wolfi Dhaai“, wie man in Nepal einen „älteren Bruder“ bezeichnet, selbst zu einem der führenden Alpinisten Österreichs und als Expeditionsleiter jemand, der Berge möglich machte. Am 27. November feiert er seinen 80. Geburtstag.
„Wir waren gleich gut wie Reinhold Messner“
Am Krankenbett von Gert Judmaier, der 1970 nach einem schweren Unfall am Mount Kenya in einer dramatischen wie spektakulären Rettungsaktion von Afrika nach Innsbruck gebracht wurde, traf sich eine Gesinnungsgemeinschaft: „Unsere Stammmannschaft ist dort im Krankenhaus entstanden.“ Als die großen Expeditionen ohne die vielen starken Innsbrucker Bergsteiger stattfanden, fasste Nairz einen Entschluss: „Wir wussten, dass wir gleich gut wie ein Reinold Messner waren. Da uns aber niemand einlud, organisierten wir unsere erste 8000er-Expedition selbst.“ Nairz übernahm die Rolle des Leiters: „Du hast studiert, also machst du es“, sagten seine Freunde.
Der studierte Meteorologe und Glaziologe organisierte 1972 eine Expedition zum Manaslu (8163 m), an der auch Reinhold Messner teilnahm. „Damals war das aber noch nicht so einfach wie heute, wo du einen 8000er buchen kannst.“ In einem drei Wochen dauernden Fußmarsch wanderte das Team von Pokhara in Nepal ins Basislager. „Schon allein das war ein Abenteuer, heute sind die hohen Berge ja zum Klettersteigtourismus degradiert worden.“ Am Manaslu zeigte sich aber gleich, dass Spitzenalpinismus immer wieder die Tragödie in sich trägt: Ein schwerer Sturm fegte über den „Berg der Seelen“, Andi Schlick, Franz Jäger und der Nepalese Karki starben am Berg, ein völlig erschöpfter Reinhold Messner, Oswald Oelz, Horst Fankhauser, Josef Knoll, Hans-Jörg Hochfilzer und Nairz kamen lebend zurück.
Der Manaslu war der Startschuss, weitere Expeditionen auf die hohen Berge wie Dhaulagiri, Ama Dablam oder Cho Oyu folgten. Der Alpinist führte die Expeditionen aber nicht als militärische Eroberungsfahrten durch, sondern setzte sie als Gesinnungsgemeinschaft starker und gleichberechtigter Alpinisten um: „Wenn es aber keinen Konsens gab, entschied ich.“ Seine erfolgreichste Unternehmung war die Kleinst-Expedition am Mount Everest 1978: Er selbst war als erster Österreicher (gemeinsam mit dem Grazer Robert Schauer und dem Innsbrucker Horst Bergmann) auf dem 8848 Meter hohen Gipfel, Reinhold Messner und Peter Habeler schrieben sich als erste Gipfelstürmer ohne Flaschensauerstoff in die Ruhmeshallen ein. Expeditionsarzt Oswald Oelz, Franz Oppurg und Reinhard Karl als erster Deutscher schafften es auch auf den Gipfel.
Nairz überlebte am Cho Oyu nur knapp
Nairz kam immer wieder gesund zurück: „Wir waren ja alle Bergsteiger und haben die schwersten Touren schon als Bub absolviert. An die Weltberge haben wir uns nur langsam herangewagt.“ Ein Restrisiko bleibt aber immer, als Nairz zum Beispiel am Cho Oyu neben Reinhard Karl (der damals verstarb) im Zelt nur knapp überlebte. „Man muss auch verdrängen können, damit man überhaupt in der Lage ist, das zu schaffen, was wir gemacht haben.“
Das ferne Nepal wurde zu seiner zweiten Heimat, kommende Woche reist er zum 108 Mal in sein Herzensland – auch seine Frau Edith war schon gut an die 40 Mal mit. Es waren aber nicht immer die Berge, die ihn lockten, Nairz hat als Gründer der NepalHilfe Tirol dem Land viel zurückgegeben: Von der Finanzierung von Schulen und Krankenhäusern bis zur Aktion „Wärme für Nepal“. Hinter letzterer Aktion verbirgt sich ein Projekt, um wärmespeichernde Öfen für die eisig kalten Stuben in Nepal zu schaffen. Dass heute dutzende Nepalesen auf den heimischen Schutzhütten arbeiten, ist auch sein Verdienst. „Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe geben“, erklärt Nairz. „Und für das Aufforstungsprojekt ,One Day, One Tree“ haben wir allein im letzten Jahr 20.000 Bäume gepflanzt.“
Neben den höchsten Bergen der Welt, entdeckte er auch seine Liebe zum Ballonfahren: „Das ist die dritte Dimension. Wenn ich über den Bergen ganz lautlos schwebe und die Welt aus der Vogelperspektive beobachte, ist das ein sehr intensives Erlebnis.“ Der Berg-Professor (für seine Leistungen bekam er den Titel verliehen) absolvierte über 2000 Ballonfahrten: In Japan, der Mongolei, Nepal oder Afrika. Aber nicht nur das, Nairz arbeitet für die Tirol Werbung, später für die Österreich Werbung, organisierte die Heißluft Ballon Weltmeisterschaft, ist ausgebildeter Berg- und Skiführer, gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik, hat elf Bücher geschrieben. Ziemlich viel für ein Leben. Sein Geheimnis? „Ohne Leidenschaft geht das nicht.“