Der Londoner Nebel ist nicht nur romantisch, 1952 war er tödlich: 12.000 Menschen starben dort an der vergifteten Luft
Der Londoner Nebel ist nicht nur romantisch, 1952 war er tödlich: 12.000 Menschen starben dort an der vergifteten Luft © AFP / Tolga Akmen

In San Francisco hat er sogar einen Namen. Karl heißt der Nebel dort, angeblich nach „Karl the Giant“, einer Figur aus einem Film von Tim Burton. Bei uns spricht man eher von dichtem oder lichtem Nebel. Liest man das Wort Nebel andersrum, kommt Leben heraus. Der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson nennt es, „das Licht sichtbar machen“, wenn er Nebel-Installationen wie „Yellow Fog“ kreiert: Jeden Tag mit Einbruch der Dunkelheit wird das Verbund-Gebäude in der Wiener Innenstadt Am Hof mit gelben Nebelschwaden eingehüllt.

Im Grunde ist Nebel nichts anderes als eine Wolke am Boden. Nebel entsteht, vereinfacht gesagt, wenn sich feuchte Luft abkühlt. Wenn die Luft mit Wasserdampf gesättigt ist und vom gasförmigen in den flüssigen Zustand übergeht. Nebel entwickelt sich gut in klaren Nächten. Dann verliert der tagsüber aufgewärmte Boden durch Ausstrahlung soviel Wärme, dass die Luft gesättigt ist. Die Nebelschicht wächst an, bis sie wie eine Wolkendecke wirkt.

Für den tschechischen Schriftsteller Jaroslav Rudiš ist Nebel, dieses Samtband der Schwermut, nicht nur eine Metapher für Melancholie, sondern auch für die Geschichte Mitteleuropas. Vor allem die Region von Nordböhmen bis Triest reize ihn. Wie ein grauer Faden zieht sich der Nebel durch sein Werk. „Durch den Nebel“ heißt eines seiner Bücher mit Erzählungen, die er im Rahmen der Stefan-Zweig-Poetikvorlesungen in Salzburg hielt. Und Fahrdienstleiter Alois Nebel ist der Held seiner gleichnamigen Graphic-Novel, die er gemeinsam mit dem Rocksänger und Zeichner Jaromír Švejdík verfasste und die auch verfilmt wurde und einmal bei den Filmfestspielen in Venedig lief.

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„Wie die dunkle Geschichte Mitteleuropas, spielt sich ja auch das wahre Leben häufig im Nebel ab oder hinter Nebelschwaden“, erklärt uns Jaroslav Rudiš, den wir im böhmischen Jičín am Telefon erreichen, dem Geburtsort von Karl Kraus, den er sehr verehrt. Wie es in jeder Familie Geheimnisse gebe, die man gerne verdrängt und vernebelt, würden viele auch gern Mitteleuropas unschöne Zeiten vergessen und zudecken, mit den vielen Kriegsgräbern und KZ. Darüber schreibt er auch in seinem nebelverhangenen Roman „Winterbergs letzte Reise“.

Für Jaroslav Rudiš ist der Nebel aber nicht nur eine Tuchent, unter der sich vieles verstecken lässt. Für ihn ist er ein geschätzter Begleiter, weil er die Phantasie ankurble und Raum für Magie und Interpretation lasse. Rudiš ist stets zur Stelle, um die Geschichten aufzusammeln, die sich zeigen, sobald sich der Nebel kurz lichtet. Aus dem Nebel destilliert er Geschichten, bringt die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammen. „Mit dem Nebel kommt auch eine starke Ruhe in die Welt“, sagt der 52-Jährige.

„Ich gehe im November gern in den Wald spazieren“, verrät Rudiš, „man kann wunderbar sinnieren und den Gedanken freien Lauf lassen.“ Momentan arbeitet er an einem neuen Buch, es soll eine Art Gebrauchsanweisung fürs Bier werden. Und auch davon werde man ja, je nach Menge, benebelt. Er gehe gern in Wirtshäuser, nicht nur zu Recherchezwecken, erklärt er und lacht: „Früher saß man da auch in diesen rauchigen Wolken des Zigarettennebels.“ Die Luft sei in Wirtshäusern heute deutlich klarer. Wird damit auch die Wirklichkeit deutlicher? Jaroslav Rudiš verneint: „Nicht wirklich, denn es gibt immer noch die vielen Wortnebel.“ Doch manchmal falle ihm ein Satz daraus zu, er klaube ihn auf und rücke ihn an den richtigen Platz, wenn der Nebel sich hebt.

Herbstmorgen: Nach einer kalten Nacht liegt Nebel über dem Land
Herbstmorgen: Nach einer kalten Nacht liegt Nebel über dem Land © IMAGO / Rene Traut
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London, Stadt des Nebels: Aufnahme anno 1941, als noch Winston Churchill Premier war © IMAGO / Courtesy Everett Collection Via Www.imago-images.de
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Caspar David Friedrichs „Der Wanderer“ im Albertinum Museum in Dresden © IMAGO / Matthias Schumann
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Die Festung Hohensalzburg ragt aus dem Nebel © Georg Kukuvec
Nebel-Installation  'Feelings are Facts' von Olafur Eliasson und dem chinesischen Architekten Ma Yansong in Peking
Nebel-Installation 'Feelings are Facts' von Olafur Eliasson und dem chinesischen Architekten Ma Yansong in Peking © APA / How Hwee Young
Installation 'Yellow fog' des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson entlang der Fassade der Verbund-Zentrale 'Am Hof' in Wien
Installation 'Yellow fog' des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson entlang der Fassade der Verbund-Zentrale 'Am Hof' in Wien © APA / A9999 Rupert Steiner
Nebelexperte und „Eisenbahnmensch“, wie er sich selbst nennt: Der tschechische Autor Jaroslav Rudiš
Nebelexperte und „Eisenbahnmensch“, wie er sich selbst nennt: Der tschechische Autor Jaroslav Rudiš © IMAGO / Michaela Rihova
„Durch den Nebel“, Jaroslav Rudiš, Verlag Sonderzahl, 108 Seiten, 16 Euro.