Wenn es um Kindererziehung geht, gibt es viele Zugänge. Es existieren unzählige Ratgeber, Podcasts und Blogs, die sich mit der besten Art der Erziehung beschäftigen. Aber bei einer Sache sind sich die meisten scheinbar einig: Kinder sollten stets ermutigt und gelobt werden. Besonders in den ersten Lebensjahren ist es normal, dass Eltern auf jede Regung ihrer Kinder mit Begeisterung und Applaus reagieren: „Du hast deine Suppe alleine gegessen, toll!“ oder „Du bist geklettert, bravo!“ Doch derzeit wird immer häufiger kritisch über das Loben diskutiert. Während man früher glaubte, dass Kinder nur durch Lob selbstbewusst und erfolgreich werden, wird dieser Glaube mittlerweile zunehmend infrage gestellt. In der Montessori-Pädagogik etwa wird das elterliche Lob schon seit Langem kritisch betrachtet.
Lob kann auch verunsichern
„Die Montessori-Pädagogik zielt stark auf die Selbstständigkeit der Kinder ab“, erklärt Saskia Haspel, Gründerin der Montessori-Akademie in Wien im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. „Kindliche Entwicklung kommt aus der Eigenmotivation. Kinder lernen essen, laufen und sprechen, ohne dass wir sie dazu motivieren müssen. Sie lernen ursprünglich nicht, um gelobt zu werden oder weil sich die Mama freut, sondern aus eigenem Antrieb.“ Dieser Antrieb könne, so Montessori, durch übermäßiges Loben beschädigt werden. Kinder arbeiten dann eher für die Anerkennung anderer als aus eigener Überzeugung. „Wir alle kennen das aus der Schule mit ihrer Benotung – wir betrachten unsere Leistung durch die Augen anderer“, sagt Haspel. „Das setzt sich dann oft im Leben fort.“
Dass Lob sogar verunsichern kann, zeigt eine Studie der Universität Utrecht. In einer Reihe von Tests erhielten Kinder Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Erwachsene sollten die Kinder entweder überschwänglich loben, ihnen realistische Rückmeldungen geben oder sie gar nicht loben. Kinder mit hohem Selbstbewusstsein wählten mit der Zeit immer schwierigere Aufgaben, unabhängig von der Reaktion der Erwachsenen. Kinder mit niedrigem Selbstbewusstsein, die für einfache Aufgaben übertrieben gelobt wurden, tendierten dazu, nur noch die leichtesten Übungen zu wählen und Herausforderungen zu meiden. Bekamen diese Kinder hingegen realistische Rückmeldungen, wählten sie im Anschluss auch schwierige Aufgaben.
Die US-Psychologin Carol Dweck von der Stanford-Universität untersucht seit Jahrzehnten, wie Lob die Motivation von Kindern beeinflusst. In einer Langzeitstudie erforschte sie die Wirkung verschiedener Arten von Lob bei Schülern. Eine Gruppe wurde mit den Worten „Du bist wirklich schlau“ gelobt, während der anderen gesagt wurde: „Du hast dich wirklich angestrengt.“ Die Studie zeigte, dass Kinder, die für Eigenschaften wie Intelligenz oder Begabung gelobt wurden, anschließend mehr Versagensangst hatten als diejenigen, deren Einsatz gewürdigt wurde. Kinder, die für ihre Anstrengung gelobt wurden, bemühten sich bei weiteren Tests stärker und trauten sich eher, schwierige Aufgaben zu bewältigen.
Authentische Anerkennung
Dass es eine große Rolle spielt, auf welche Art Kinder gelobt werden, bestätigt auch Montessori-Pädagogin Saskia Haspel. „Es wird häufig sehr oberflächlich und inflationär gelobt“, sagt Haspel. „Man hört dann bei jeder Kleinigkeit: ‚super, bravo‘, und es wird für alles geklatscht. Kinder können dann nicht beurteilen, wann sie wirklich eine gute Leistung gebracht haben und wann sie nur dafür gelobt werden, dass sie überhaupt etwas getan haben.“ Das liege auch daran, dass wir Lob gerne mit Aufmerksamkeit verwechseln. Oft ist es für Erwachsene einfacher, ein kurzes „Super, toll gemacht!“ zu sagen, als sich länger mit dem Kind zu beschäftigen, so Haspel. „Man sieht das bei Kindern, die auf dem Spielplatz ständig nach ihren Eltern rufen, damit diese zusehen, wie toll sie klettern oder rutschen können“, sagt Haspel. „Kinder wünschen sich echte Aufmerksamkeit, das bedeutet aber nicht, dass sie fürs Schaukeln und Spielen gelobt werden müssen, sondern, dass man sich mit ihnen beschäftigt.“
Eltern rät die Pädagogin, schrittweise von übermäßigem Lob zu authentischer Anerkennung überzugehen. Statt eine Kinderzeichnung mit den Worten wie „toll“ oder „sehr schön“ zu quittieren, könne man ein kleines Gespräch beginnen, so Haspel. „Das ist dir gut gelungen, hat es dir Spaß gemacht?“ oder „Was hast du gemacht, dass dir das so gut gelungen ist?“ „So spüren Kinder, dass die Eltern wirklich bei ihnen sind und nicht nur routinemäßig Lob verteilen“, erklärt Haspel. Zudem wird hier eben nicht eine Eigenschaft des Kindes gelobt („Du bist so gut“), sondern die Mühe, die es in eine Sache gesteckt hat.
Ljubisa Buzic