Witwenstrand wird der Abschnitt auch genannt. Denn die See hier ist wild und hat schon viele Kabeljaufischer das Leben gekostet. Nazaré ist rund 120 Kilometer von Lissabon entfernt. Es liegt an der Costa de Prata. Der Atlantik peitscht hier wie eine Urgewalt an die Küste des Fischerdorfs. Der Grund dafür ist ein Unterwassercanyon, der 5000 Meter tief ist, doppelt so tief wie der Grand Canyon, und 230 Kilometer lang. Diese unterirdische Schlucht ist verantwortlich für die Riesenwellen von Nazaré.
Für Big Wave-Surfer ist Naza, wie sie sagen, der Himmel auf Erden. Es ist ein Ort, an dem Rekorde gebrochen werden. Ihr tollkühnes Ziel: den „Everest des Ozeans“ zu reiten. „Eines haben alle gemeinsam: Sie wollen die höchste Welle aller Zeiten surfen und hinterher noch am Leben sein“, schreibt Matt Majendie in seinem druckfrischen Buch „Nazarè. Leben und Tod der Big Wave Surfer“. Der britische Sportjournalist verbrachte eine Saison im inneren Kreis der Big-Wave-Surfer. Er begleitete eine Gruppe von Spitzensurfern, darunter auch den deutsch-österreichischen Weltrekordhalter Sebastian Steudtner. Er folgte aber auch dem Jetski-Fahrer Sérgio Cosme, der wegen seiner waghalsigen Rettungsaktionen den Spitznamen „Schutzengel von Nazaré”.
Big Wave Surfer werden meist via Jet-Ski in die Welle gezogen. Tow-In-Surfen nennt man das. Und das ist ein Teamsport. „Auf dem Wasser führen Surfer und Jetskifahrer eine Art Ballett mit spiegelbildlichen Bewegungsabläufen auf, wobei der Jetskifahrer den Surfer zunächst in die Welle zieht und dann in den Bergungsmodus wechselt, um ihn wieder aufzunehmen“, schreibt Majendie. Immer öfter kommen dafür auch Hubschrauber zum Einsatz.
Lange Zeit galten Hawaii, Kalifornien oder Tahiti - wie zuletzt auch bei den Olympischen Spielen - als die Lieblingsplätze der Surfer-Gemeinde, doch Nazaré hat sich inzwischen vom Geheimtipp zum Hotspot gewandelt.
Bekannt gemacht hat das Dorado des Wellenreitens als einer der Ersten der amerikanische Big-Wave-Surfer Garrett McNamara, als er vor mehr als zehn Jahren in Nazaré auf einer 23 Meter hohen Welle ritt und damals einen neuen Weltrekord schaffte. Er ist ein wilder Kerl. So war er auch einmal Teil eines Teams, das auf Wellten surfte, die von einem kalbenden Gletscher in Alaska erzeugt wurden. Seine Homepage ziert das Konterfei seiner Familie und der Schriftzug: „Wild man. Wild woman. Wild family“.
Den Weltrekord für die höchste jemals gesurfte Welle, 26,2 Meter, stellte der Deutsch-Österreicher Sebastian Steudtner schon vor vier Jahren auf und landete damit im Guinness Buch der Rekorde. In Nazaré hat der Sohn einer Österreicherin und eines Deutschen heuer seinen eigenen Weltrekord noch einmal übertroffen: Die Höhe der Welle betrug 28,57 Meter und wurde mithilfe einer von Porsche Engineering entwickelten Spezialdrohne gemessen, muss aber noch anerkannt werden. Die größten Wellen gibt es in Nazaré aufgrund der höheren Windstärke im Herbst und Winter. Mit dem Ende der Hauptreisezeit in Europa beginnt dann an der Costa de Prata die Hochsaison der Big Wave-Surfer.