Fakt ist: „Als attraktiv angesehene Menschen haben bessere Job- und Beförderungsaussichten, bekommen eher einen Job, erhalten ein höheres Gehalt und die bessere Gesundheitsversorgung. Schon in der Schule bekommen als schön angesehene Kinder bessere Noten“, erklärt Kulturwissenschafterin Elisabeth Lechner. „Wir leben in einer sehr lookistischen Welt“, sagt sie. Der Begriff „Lookismus“ wurde Ende der 1970er-Jahre in der „Washington Post“ das erste Mal verwendet und bezeichnet eine Hierarchisierung der Gesellschaft anhand des Faktors Attraktivität.

Kulturwissenschafterin Elisabeth Lechner
Kulturwissenschafterin Elisabeth Lechner © Universität Wien

„Heute leben wir in einer Welt, die an einer Fettphobie leidet, die gekennzeichnet ist von einem Dickenhass“, sagt Lechner. Der Verlust von Gewicht werde selbst dann noch gelobt, wenn der Grund dafür persönliche Traumata seien. Eine 2019 veröffentlichte Harvard-Langzeit-Studie von Tessa Charlesworth und Mahzarin Banaji für den nordamerikanischen Raum zeigt, dass Diskriminierung von dicken Menschen zugenommen habe – in einer Zeit, in der andere Formen von Diskriminierung immerhin abnahmen.

„Riot, don‘t diet“

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„Dicke Körper werden beschämt, man ekelt sich vor ihnen, gesteht ihnen den Platz, den sie brauchen, nicht zu und macht mit ihnen über Diätprodukte und andere Versprechungen der Schönheitsindustrie Geschäfte in Milliardenhöhe“, schreibt Elisabeth Lechner in ihrem Buch „Riot, don‘t diet“. Die 34-Jährige befasst sich mit dem Thema Schönheit seit Jahren, hat zu „ekligen“ weiblichen Körpern und Body-Positivity an der Uni Wien promoviert.

Die Ursprünge der Body-Positivity-Bewegung führt zurück in die 1960er-Jahre: Aktivistinnen hielten als „Fat-Ins“ bezeichnete Sitzstreiks im Central Park in New York, in den 1990er-Jahren gab es erste Online-Foren, bis 2010 ging es beständig bergauf. Dann kam die Wende. Geschönte Fotos von Menschen auf Social Media und Film- und Popstars legen die Latte hoch.

Lechner sagt dazu: „Was dabei übersehen wird: Dass manche Hollywoodstars oder Models ganze Teams haben, allein um einzelne Körperareale zu perfektionieren und zu inszenieren. Der Körper ist ja auch deren Kapital. Dem sollte man allerdings die alleinerziehende dreifache Mutter gegenüberstellen, die auch noch im Schichtdienst arbeiten muss.“ Das kommt nicht in die Social-Media-Auslage.

Ess-Störungen bei Mädchen und Frauen

Die Ess-Störungen bei Mädchen und Frauen haben in den vergangenen zehn Jahren um 54 Prozent zugenommen, belegt eine aktuelle Studie aus Deutschland. Daran können auch Plakatkampagnen wie zuletzt jene von Palmers wenig ändern. Palmers-Vorstand Janis Jung erklärte bei der Präsentation: „Der Slogan ,Sexy, not sorry‘ ist für uns ein Statement und ein Bekenntnis zur Vielfalt der Schönheit. Wir möchten, dass jede Frau selbstbewusst durchs Leben geht und nicht mehr das Gefühl hat, sich für ihr Dasein entschuldigen zu müssen.“ Die beworbene Kleidung gebe es allerdings nur bis Größe L, wendet Lechner ein.

Ist es heute wieder schwieriger geworden, im eigenen Körper durchs Leben zu gehen? „Es ist besonders schwierig, weil die ästhetische Arbeit am Körper ständig zunimmt, mehr und mehr auch bei Männern“, sagt Lechner. Botox fürs Gesicht, Abnehmspritzen, operative Eingriffe... Problematisch nur, dass alle diese Interventionen auch nicht ewig halten, sondern stets aufs Neue gemacht werden müssen: „In unserer krisenhaften Zeit ist der Körper ein Element im Alltag, bei dem man das Gefühl hat, selbst verantwortlich sein zu können. Das Aussehen wird als soziales Kapital bewertet, diskriminiert werden jene, die den gerade üblichen Schönheitsidealen nicht entsprechen.“

Mehr Vorbilder benötigt

Das trifft mitunter auch Berühmtheiten: Billie Eilish wurde einmal für ihren schlurfigen Baggy-Stil gescholten, ein andermal, weil sie für die „Vogue“ im Korsett posierte. „Lasst Frauen existieren!“, erklärte die US-Sängerin daraufhin. „Die wenigen Vorbilder, die wir haben, werden auch ganz schnell wieder vom Podest gestoßen“, sagt Lechner. Dabei bräuchte es mehr solche Vorbilder, mehr Repräsentation in Medien.

Was noch zu tun wäre? „Großbritannien hat sexistische Werbung generell verboten“, erklärt die Kulturwissenschafterin. Alle großen strukturellen Themen, die mit Körper zu tun haben, müssten angegangen werden: Die Gesundheitsversorgung muss gestärkt werden, besonders im psychotherapeutischen Bereich. Seit der Pandemie liege vieles im Argen.

Im September hält Elisabeth Lechner beim Philosophicum Lech einen Vortrag mit dem Titel „Störkörper“: „Die Frage ist: Sind die Defizite, die wir Körpern zuschreiben, in Wahrheit nicht Defizite der Umgebung? Eine Person, die keine Stufen steigen kann, gilt leicht als kompliziert, dabei macht es die Umgebung für die Person kompliziert.“

 Billie Eilish: „Lasst Frauen existieren!“
Billie Eilish: „Lasst Frauen existieren!“ © IMAGO / Keizo Mori
Palmers-Werbung
Palmers-Werbung © Imago