Auf der Pressekonferenz vor dem Duell mit Serbien gab Marko Arnautović zu Protokoll, dass er „auch Serbien liebe“. Ja eh. Verständlich, nachvollziehbar und gut so. Der Aufschrei, den man klischeebedingt gerade in einem Fußballsegment, in dem die eine Nation sich mit der anderen Nation duelliert, erwarten würde, blieb nicht nur aus. Sätze wie diese sorgen im und rund um das ÖFB-Nationalteam schon länger nicht mehr für große Aufregung. Das war nicht immer so, und auch dafür ist Arnautovic ein gutes Beispiel. Als vor Jahren seinen Fußballschuh auch die serbische Flagge zierte, erntete er dafür mitunter auch Unverständnis.

<strong>Marko Arnautović</strong> (35) ist der Sohn eines Serben und einer Österreicherin. 112 Teameinsätze seit 2008. Der Spieler von Inter Mailand auf einem Foto für seine Gin-Marke
Marko Arnautović (35) ist der Sohn eines Serben und einer Österreicherin. 112 Teameinsätze seit 2008. Der Spieler von Inter Mailand auf einem Foto für seine Gin-Marke © arnautovicspirits.com/KK

Die aktuelle Rassismusdebatte rund um die deutsche Nationalmannschaft zeigt, wie heikel dieses Thema ist. Ein Fünftel der Befragten würde sich mehr weiße Spieler im DFB-Team wünschen, ergab eine Umfrage des TV-Senders WDR. Bundestrainer Julian Nagelsmann sprach erbost von einer „Scheißumfrage“. Bayern-Star Joshua Kimmich verdeutlichte, dass dies in der Nationalmannschaft überhaupt kein Thema sei.

Diese Grundaussage lässt sich auf Österreich übertragen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich in Sachen Spieler mit Migrationshintergrund viel getan. Natürlich wurde das Thema der „Secondos“ anfangs auch öffentlich diskutiert. An der sportlichen Bereicherung gab es bald keinen Zweifel. Der Aufschwung in der jüngeren Vergangenheit ist eng mit Arnautovic & Co verbunden und lässt sich inzwischen auch an der Liste der Rekordinternationalen ablesen. Genau vier Österreicher – die Betonung liegt auf Österreicher – haben bislang die Schallmauer von 100 Länderspielen durchbrochen: Arnautović (112), David Alaba (105), Andreas Herzog (103) und Aleksandar Dragović (100).

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<strong>David Alaba</strong> (31). Vater George kam 1984 aus Nigeria nach Wien, die Mutter stammt von den Philippinen. Seit 2009 105 Teameinsätze. Weil verletzt, diesmal nur als „Non Playing Captain“ im Betreuerstab. Der Verteidiger von Real Madrid  lebt mit seiner Frau Shalimar Heppner und den zwei Kindern in der spanischen Hauptstadt
David Alaba (31). Vater George kam 1984 aus Nigeria nach Wien, die Mutter stammt von den Philippinen. Seit 2009 105 Teameinsätze. Weil verletzt, diesmal nur als „Non Playing Captain“ im Betreuerstab. Der Verteidiger von Real Madrid lebt mit seiner Frau Shalimar Heppner und den zwei Kindern in der spanischen Hauptstadt © Instagram/Shalibar

Arnautović, Alaba und Dragović haben ihre Wurzeln nie verleugnet. Gleichzeitig weiß man, wie gerne sie für Rot-Weiß-Rot spielen oder gespielt haben. Trotz vieler weiterer Beispiele wäre es naiv zu glauben, dass es in Sachen Integration keine Problemfelder gibt. Aber gibt es positive Entwicklungen, gehören sie auch benannt. Ebenso gehört es klar benannt, dass es problematisch sein kann, das ÖFB-Team als „Vielvölkerstaat“ zu beschreiben, weil dies Spannungen suggeriert, die so im konkreten Fall nicht existieren.

Neben dem Kosmopoliten Arnautović, der sechs Sprachen fließend spricht, schafften mit Tobias Lawal (nigerianischer Abstammung), Kevin Danso (Ghana), Flavius Daniliuc (Rumänien), Phillipp Mwene (Kenia) und Thierno Ballo (Guinea/Elfenbeinküste) fünf weitere Akteure mit Migrationshintergrund den Sprung ins Großaufgebot für die EM. Lediglich Ballo wurde nicht in Österreich geboren, sondern in der ivorischen Hauptstadt Abidjan.

<strong>Thierno Ballo</strong> (22). Mutter aus Guinea, Vater aus der Elfenbeinküste. Kam im Alter von fünf Jahren nach Österreich, wuchs in Linz auf. Der Mittelfeldmann des WAC, der früher beim FC Chelsea (Junioren, U23) spielte, hatte bisher 15 Einsätze in der U21.  War bis 7. Juni im erweiterten Kader, bei der EM aber nicht dabei
Thierno Ballo (22). Mutter aus Guinea, Vater aus der Elfenbeinküste. Kam im Alter von fünf Jahren nach Österreich, wuchs in Linz auf. Der Mittelfeldmann des WAC, der früher beim FC Chelsea (Junioren, U23) spielte, hatte bisher 15 Einsätze in der U21. War bis 7. Juni im erweiterten Kader, bei der EM aber nicht dabei © GEPA

Betrachtet man es augenzwinkernd, versucht das Nationalteam auch Vorurteile gegenüber jenem Land abzubauen, das mutmaßlich bei so manchem „echten“ Österreicher nicht nur freundliche Emotionen auslöst: Deutschland. Neben Teamchef Ralf Rangnick stammen auch seine Assistenten Lars Kornetka, Peter Perchtold und Onur Cinel aus dem Land des EM-Gastgebers. Mit dem Deutschen Franco Foda ließ sich Rangnicks Vorgänger bereits Mitte der 1990er in Graz nieder. Das jahrelange völkerverständigende Wirken von ÖFB-Lieblings-„Piefke“ Martin Harnik ist gar nicht hoch genug einzuordnen.

Apropos „Piefke“: Der allererste „Fremde“ im ÖFB-Team war ein Deutscher. 1981 hatte man nämlich Bernd Krauss (heute 67) eingebürgert, damit dieser für Österreich spielen konnte. Der Dortmunder, von 1977 bis 1983 beim SK Rapid Wien, kam zu 22 Teameinsätzen. Bei seinem Debüt unterlief dem Verteidiger, der auch bei der Fußball-WM 1982 in Spanien dabei war, übrigens ein Eigentor – just gegen Deutschland.

Gastarbeiterkinder aus Ex-Jugoslawien

Die ersten Ausländer, die seinerzeit in Vereine drängten, waren Gastarbeiterkinder aus dem damaligen Jugoslawien. Man denke nur an Legenden wie Mittelfeldmotor Božo Bakota oder Tormann Refik Muftić. Der Erste, der es ins Nationalteam schaffte, war da bereits kein Ausländer mehr: Ivica Vastić (54), der als junger Mann vor dem Krieg in seiner Heimat Kroatien nach Österreich geflüchtet war und das Um und Auf bei Sturm Graz wurde, erhielt 1996 die österreichische Staatsbürgerschaft und spielte ab da bis 2008 50 Mal im Team. Bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich schoss er gegen Chile in der Nachspielzeit das Tor zum 1:1, woraufhin die „Kronen Zeitung“ titelte: „Ivo, jetzt bist Du ein echter Österreicher“.

Der ebenfalls eingebürgerte Goran Kartalija (58) kam 1996/97 auf vier Einsätze. Erst 1999 spielte mit Zoran Barišić (54) erstmals ein in Wien geborener Fußballprofi mit Wurzeln außerhalb Österreichs, nämlich in Kroatien, im Team – allerdings nur ein einziges Mal. Der Kroate Željko Vuković war 2001 mit fast 40 der älteste Debütant. Weitere Spieler mit Wurzeln in Ex-Jugoslawien siehe Liste unten.

Attila Sekerlioglu (59) schaffte es als erster türkischstämmiger Profi in den Teamkader, wurde aber nie eingesetzt. 2002 ließ Trainer Hans Krankl dann aber Volkan Kahraman im Team debütieren. Der Mittelstürmer, der dreimal für Österreich auflief, wurde nur 43 Jahre alt; er starb im Februar 2023 bei einem Eifersuchtsdrama in Wien durch einen Kopfschuss, der Täter richtete sich selbst. Muhammet Akagündüz, heute Trainer beim TuS Mechtersheim im Rheinland, war 2002 beim 2:0-Sieg im EM-Qualifikationsspiel gegen Belarus der erste austro-türkische Torschütze im ÖFB-Team und lief mit diesem zehnmal auf. Veli Kavlak hält den Rekord als türkischstämmiger Spieler; der heute 35-Jährige bestritt bis 2014 31 Partien für Österreich.
Weitere Spieler mit türkischen Wurzeln siehe Liste unten.

<strong>Phillipp Mwene</strong> (30). Der Vater stammt aus Kenia, die Mutter aus der Steiermark. Der Abwehrspieler von Mainz 05 stand seit 2021 schon 12 Mal im Aufgebot
Phillipp Mwene (30). Der Vater stammt aus Kenia, die Mutter aus der Steiermark. Der Abwehrspieler von Mainz 05 stand seit 2021 schon 12 Mal im Aufgebot © Instagram/Mwene
<strong>Kevin Danso</strong> (25). Wurde in Voitsberg geboren, siedelte mit seinen ghanaischen Eltern nach England, als er sechs Jahre alt war. Der Verteidiger von RC Lens kam seit 2017 auf 20 Einsätze
Kevin Danso (25). Wurde in Voitsberg geboren, siedelte mit seinen ghanaischen Eltern nach England, als er sechs Jahre alt war. Der Verteidiger von RC Lens kam seit 2017 auf 20 Einsätze © Kriegl
<strong>Flavius Daniliuc</strong> (23). Wiener rumänischer Abstammung. Der Verteidiger von Red Bull Salzburg, Leihspieler von US Salernitana/Italien, lief seit 2023 drei Mal für das Team auf
Flavius Daniliuc (23). Wiener rumänischer Abstammung. Der Verteidiger von Red Bull Salzburg, Leihspieler von US Salernitana/Italien, lief seit 2023 drei Mal für das Team auf © IMAGO
<strong>Tobias Lawal</strong> (24). Geboren als Sohn einer Österreicherin und eines Nigerianers in Linz. Torwart des LASK, zwei Spiele in der U21.  War bis 7. Juni im erweiterten 
Kader, bei der EM aber nicht dabei
Tobias Lawal (24). Geboren als Sohn einer Österreicherin und eines Nigerianers in Linz. Torwart des LASK, zwei Spiele in der U21. War bis 7. Juni im erweiterten Kader, bei der EM aber nicht dabei © HYPO OÖ/KK
<strong>Ivica Vastić </strong>bei der Euro 2008. Der gebürtige Kroate spielte 50 Mal für Österreich
Ivica Vastić bei der Euro 2008. Der gebürtige Kroate spielte 50 Mal für Österreich © imago