Es ist ein wunderschöner Tag und die Sonne heizt vom strahlend blauen Himmel, unter den Füßen liegen Millionen Sandkörner, eines goldener als das andere. Die Kokosnusspalmen am Strand runden die perfekte Urlaubsstimmung ab, ein leichter Wind sorgt für eine angenehme Brise, das offene Meer ist nur wenige Meter entfernt – die Abkühlung scheint nah, hier auf der kleinen Insel La Réunion im Indischen Ozean.

Für uns heißt es also Taucherbrille auf – und mit Schnorchel ausgestattet rein ins kühle Nass. Wobei, ganz so kühl sind die Wassertemperaturen nicht mehr. Ein globales Phänomen: Seit 14. März 2023 werden die Tagesrekordtemperaturen der Weltmeere täglich aufs Neue übertroffen. Seither liegen die Oberflächenwerte der Gewässer also an jedem einzelnen Tag auf dem höchsten Tagesstand seit Messbeginn vor rund 40 Jahren. Rekorde, die derzeit wohl auch durch El Niño verstärkt werden. Durch dieses Wetterphänomen erwärmen sich alle paar Jahre die Meeresoberflächentemperaturen im zentralen und östlichen Pazifik, was weltweit extreme Ereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und Stürme verursachen kann.

Erwärmung außerhalb der natürlichen Schwankungen

Doch überraschend kommt die Entwicklung der erhitzten Gewässer auch ohne El Niño nicht, nehmen die Ozeane doch 90 Prozent der überschüssigen Wärme auf – und verzögern so die Auswirkungen der Erderwärmung auf die Lufttemperaturen. „Wenn man sich anschaut, wie die Temperaturentwicklung in den Ozeanen der anderen 40 Jahre war, kann man sehen, dass die derzeitige Erwärmung wirklich weit außerhalb der natürlichen Schwankungen liegt“, erklärte Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erst im März.

Der Grazer Biologe Stephan Koblmüller
Der Grazer Biologe Stephan Koblmüller © KK

Diese zunehmende Überhitzung der Ozeane stellt für Korallen ein großes Problem dar – kommt es doch zu sogenannten oxidativem Stress bei den endosymbiontischen Algen, also Algen, die in den Korallen eingelagert werden. Dadurch werden sie für die Korallen giftig und deshalb von ihnen abgestoßen. Hält dieser Zustand länger an, sterben sie schlussendlich ab, wie Stephan Koblmüller vom Institut für Biologe an der Uni Graz erklärt. Was hochwissenschaftlich klingt, hat einen einfachen Hintergrund: Algen schützen die Korallen! Darüber hinaus sind sie deren Ernährungsgrundlage: „Sie produzieren Sauerstoff und Nährstoffe für die Koralle – davon ist sie abhängig“, sagt Koblmüller. Und die Algen sind es aber auch, die für die Farbenpracht sorgen, die wir Menschen so faszinierend finden. Das gilt vor allem für jene etwa 1600 von insgesamt 5000 bekannten Arten, die sich in seichteren Gewässern ansiedeln.

© KLZ / Infografik Kleine Zeitung

Doch die Farben verschwinden zunehmend, die sogenannte Korallenbleiche setzt ein. Erkennbar ist das längst mit freiem Auge – auch auf La Réunion. Innerhalb des vom französischen Übersee-Gebiet besonders geschützten Riffs, paddeln wir zunächst im durchsichtigen Kanu über farblose Korallen. Besonders im seichten Wasser geht es den sonst so farbenfrohen Lebewesen nicht gut. Meeresguide Clément begleitet uns auf seinem Stand-up-Paddel und ist um Aufklärung bemüht.

Was jeder im Meer beachten sollte

Immerhin: Je weiter wir uns von der Küste entfernen, desto vielfältiger – und bunter – wird die Korallenlandschaft wieder. Sie zu schützen, ist das oberste Credo von Clément, der auch einen Beitrag von den Menschen einfordert. „Schwimmt nicht in durch Schilder abgegrenzte Gebiete, keine Motorboote über den Korallen und tragt lieber lange Kleidung im Wasser anstatt Sonnencreme zu verwenden“. Die Sache mit dem Sonnenschutz bestätigt auch Stephan Koblmüller vom Institut für Biologe an der Uni Graz: „Ein Bestandteil der Sonnencreme, der für uns als UV-Schutz dient – vor allem Oxybenzon – wird von den Korallen aufgenommen. Sie versuchen ihn dann zu entgiften, wandeln ihn dabei aber in eine noch giftigere Substanz um, die dann bei Sonnenlicht ihre negative Wirkung auf die Korallen entfaltet.“ Die endosymbiontischen Algen können dieses giftige Abbauprodukt infolge teilweise in ihren Zellen speichern und somit die Korallen bedingt schützen, sagt der Experte.

Als Alternative gäbe es für den Menschen eigens gekennzeichnete korallenfreundliche Hautpräparate im Handel. Denn chemische Zusätze in Hautschutzprodukten können außerdem das Wachstum und die Fortpflanzung von Korallen stören.

Vierte weltweite Korallenbleiche-Welle trifft 54 Länder

Warnungen, die man beim Schnorcheln schnell vergisst: Bunte Fische flitzen an einem vorbei, noch buntere Korallen sind in der Ferne zu sehen. Und da, ... eine Anemone mit zwei großen und zwei kleinen Clownfischen darin. Nemo lässt grüßen. Blickt man über die märchenhafte, fast wie eine Fantasiewelt anmutende, Szenerie hinweg, sieht die Situation längst anders aus. Viele graue bis weiße Korallenleichen tummeln sich am Meeresgrund, deren von Wellen angespülte Überreste einzelne Touristen am Strand sammeln und (meist verbotenerweise) mit in die Heimat schleppen. Verzaubert von der Farbenwelt, die ein kurzes Abtauchen hier so nah an der Küste, ermöglicht.

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Doch abgebrochene Korallen, die für manch einen als Souvenir gelten, mutieren seit Jahrzehnten zu einem immer größeren Problem für Weltmeere. Aktuell befinden wir uns in der vierten weltweiten Welle von Korallenbleiche nach 1998, 2010 und der Periode 2014 bis 2017. Derzeit sind vorwiegend die Küsten von Australien, Kenia und Mexiko, insgesamt aber 54 Länder und Regionen betroffen. Am weltbekannten Great Barrier Reef ist es das bereits fünfte Ereignis binnen neun Jahren, obwohl Forschende ursprünglich von zwei derartigen Bleiche-Wellen innerhalb eines Jahrzehnts ausgegangen sind. Und das erst ab 2030, wie es erst im April seitens der US-amerikanischen National Oceanic Atmospheric Administration hieß. Und doch sind 60 Prozent der Riffe in Down Under laut WWF von Bleiche betroffen.

Mehr als die Hälfte der Riffe bereits abgestorben

Unterdessen schnorchelt Clément im Meer vor La Réunion und erklärt die unterschiedlichsten Korallenarten und deren Wachstum. Während manche sich nur wenige Millimeter im Jahr vergrößern, sind es bei anderen zehn Zentimeter und mehr. Tendenziell würden weichere Korallen schneller wachsen als härtere. Traurig stimmt den Experten, dass laut WWF mehr als die Hälfte der tropischen Korallenriffe bereits abgestorben ist.

Schließlich präzisierte Axel Hein, Meeresexperte von WWF Österreich, erst jüngst, dass bei einer Erwärmung um zwei Grad Celsius über 99 Prozent der Korallenriffe binnen kurzer Zeit verschwinden werden. Für die Biodiversität der Meere sei das eine Katastrophe: Rund 25 Prozent aller Fischarten sind in den Korallen beheimatet – verenden deren Rückzugsorte, wäre auch der Mensch durch den Rückgang zahlloser Fischarten betroffen. „Der einzige Ausweg aus dieser fatalen Tragödie ist sofortiger, wirksamer Klimaschutz“, sagt Hein.

Es brodelt unter der Meeresoberfläche

Alles andere schwächt die Korallen weiter, sie werden krankheitsanfälliger und verringern ihre Wachstumsraten. Durch die Übersäuerung der Meere können Steinkorallen außerdem keinen so robusten Kalksockel mehr bilden – und werden poröser. Clément fasst zusammen, dass Licht, Nährstoffversorgung und Wasserqualität einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden der Korallen haben. Letztlich gehe es aber vor allem um die Temperaturen.

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Ja, es ist ein wunderschöner Tag am Strand und die Sonne heizt vom strahlend blauen Himmel. Das offene Meer ist nur wenige Meter entfernt. Die Abkühlung scheint nah. Außerhalb des Wassers wirkt alles traumhaft. Doch unter der Wasseroberfläche brodelt es im wahrsten Sinne des Wortes schon längst.

Die Reise nach La Réunion wurde unterstützt von Atout France, La Réunion, Air France und Raiffeisen Reisen.