Dreimal war sie für den Friedensnobelpreis nominiert. Ihr Credo: „Konflikte zu vermeiden ist Werk der Politik; den Frieden aufzubauen ist Werk der Erziehung.“
Maria Montessori wurde 1870 in Italien geboren und war eine der ersten Frauen, die Medizin studierten. Zur Pädagogik kam die Ärztin laut Biografin Rita Kramer nach dem Besuch einer psychiatrischen Einrichtung in Rom: Sie sah Kinder, die in dunkle, kahle Zimmer gesperrt waren, wo sie völlig apathisch vor sich hindämmerten. Montessori war entsetzt.
Erstes „Kinderhaus“ eröffnet
1907 eröffnete sie das erste „Kinderhaus“ in einem römischen Armenviertel, wo Kinder nicht nur verwahrt, sondern gefördert wurden. Sie schaffte es, die oft so schwierigen, auffälligen Kinder zu lernfreudigen Menschen zu machen. Montessoris pädagogische Grundgedanken waren, vereinfacht ausgedrückt: Freiheit statt Zwang, Lernen durch Begreifen, vom Sinnlichen zum Abstrakten. Raum, um eigene Erfahrungen zu machen, und Zeit für Übung.
„Hilf mir, es selbst zu tun“, lautete eine Maxime Montessoris. Eine Revolution zu einer Zeit, in der Kinder nur Druck, Drill und Zwang ausgesetzt waren. 1910 veröffentlichte Montessori ihr wissenschaftliches Hauptwerk unter dem Titel „Antropologia pedagogica“. Der weltweite Hype darum war enorm. Als Montessori 1913 damit auch nach New York reiste, kündigte die „New York Tribune“ sie als „interessanteste Frau Europas“ an. Sie hielt einen Vortrag in der übervollen Carnegie Hall, wurde von Erfinder Thomas Alva Edison zum Essen eingeladen und von Präsidententochter Margaret Wilson durch Washington geführt.
Erhellender Blick auf die Lichtgestalt der Reformpädagogik
Mehr als 100 Jahre später, im Jahr 2019, erschien Maria Montessoris Buch auch auf Deutsch. Für Sabine Seichter, Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Salzburg, war diese 600-Seiten-Schrift mit dem Titel „Pädagogische Anthropologie“ der Anlass, Montessoris geistigen Nährboden zu Erziehungszielen und -methoden anhand ihrer Schriften zu analysieren. Die Erziehungswissenschaftlerin stieß dabei allerdings auf kein humanistisches Welt- und Menschenbild, sondern ein rassistisch und eugenisch durchdrungenes, wie sie der APA erklärte.
Statt Vielfalt zu respektieren, galt Montessoris Aufmerksamkeit der Hervorbringung des perfekten Menschen, der ästhetisch vollkommen, körperlich gesund, moralisch und intellektuell vollkommen zu sein hat, sagt die Forscherin. „Ich wollte mit meinem Buch nicht einen Mythos zerstören, sondern – anhand von Montessoris Schriften – einen erhellenden Blick auf die scheinbare Lichtgestalt der Reformpädagogik werfen. Wissenschaftliche Forschung ist der wertfreien Aufklärung verpflichtet, und ich denke, dass diese in der Montessori-Rezeption bis heute vielfach fehlt.“
Die Studienautorin moniert, „dass man Maria Montessori anscheinend nicht kritisieren darf. Das wird von ihrer eingeschworenen Anhängerschaft beinahe wie Blasphemie geächtet. Montessori wird im Gegenteil geradezu wie eine Heilige verehrt. Es gibt Wundererzählungen, Erfolgsgeschichten und werbeträchtige Wohlfühlslogans. Dunkle biographische Details wie zum Beispiel, dass sie ihr eigenes Kind weggegeben hat oder dass ihr rassenanthropologisches Denken alles andere als inklusiv war, werden dann gerne ausgeblendet.“ Maria Montessori verheimlichte tatsächlich ihre Schwangerschaft und gab ihren Sohn Mario direkt nach der Geburt zu einer Amme. Ein uneheliches Kind war zur damaligen Zeit ein gesellschaftlicher Skandal. Erst mit 15 Jahren nahm sie ihr Kind wieder zu sich.
„Bessere Menschheit“
„Das Besondere an meiner Studie ist“, so erläutert Seichter, „dass Montessoris Denken nichts mit einer kinderlieben Erzieherin zu tun hat, wie es oft völlig verkitscht dargestellt wird, sondern von einer Naturwissenschaftlerin, die ihre „pädagogischen“ Überzeugungen voll und ganz aus der Rassenanthropologie speist. Und davon ist sie zeitlebens auch nie abgerückt.“
Maria Montessori sei es nie um das einzelne individuelle Kind gegangen, „ihr schwebte vielmehr der Aufbau einer besseren Menschheit vor, genauer gesagt: der sogenannten weißen Rasse. Alles, was sie tat, zum Beispiel ihr enger Schulterschluss mit dem italienischen Faschismus Benito Mussolinis, passierte, weil sie eine kalkulierte Strategin war, die genau wusste, wie sie sich für die Verbreitung ihrer Gedanken inszenieren musste, von der Kleidung bis zur Rhetorik. Ihr Traum war der Traum vom neuen Menschen, vom perfekten Kind, das sie dann vollmundig als den neuen Messias ankündigte“, sagt Sabine Seichter.
Auf die Frage, wie es Eltern in der Praxis nun mit Montessori-Einrichtungen halten sollen, erklärt die Erziehungswissenschafterin im APA-Science-Talk: „Salopp würde ich sagen, man muss eigentlich froh sein, wenn in einer Montessori-Einrichtung nicht viel von jener Montessori drin ist, die ich analysiert habe.“