„Du darfst sie nicht immer schlagen“, rät der bettlägerige Schwiegervater seinem Sohn, „am Ende gewöhnt sie sich daran.“ Besser, so sagt er, wäre „eine anständige Tracht Prügel – das versteht sie“. Der Film „C‘è ancora domani“ (Morgen ist auch noch ein Tag), der soeben in unseren Kinos (noch nicht in Kärnten) angelaufen ist, spielt im Italien der 40er-Jahre, führt aber direkt ins Heute, denn Gewalt gegen Frauen ist aktueller denn je: Femizide, Morde an Frauen, erreichten 2023 einen traurigen Höhepunkte. In Österreich, aber auch in Italien, wo im Vorjahr mehr als 100 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet wurden. Im Regiedebüt der italienischen Schauspielerin Paola Cortellesi, die auch das Drehbuch schrieb, geht es um die Geschichte von Delia, die ihre drei Kinder plus den bettlägerigen Schwiegervater unter schwierigen Bedingungen durchbringt und unter ihrem gewalttätigen Mann leidet.
Der Schwarzweiß-Film eröffnete im Oktober das Filmfestival in Rom, wurde dort unter anderem mit dem Jury- und dem Publikumspreis ausgezeichnet und bricht seitdem alle Besucherrekorde. Sieben Wochen lang stand der Debütfilm von und mit Paola Cortellesi auf Platz eins der italienischen Kinocharts und lockte dort mehr als fünf Millionen Menschen in die Kinos. Er überholte die Blockbuster „Barbie“ und „Oppenheimer“ und wurde zum erfolgreichsten Film des Jahres 2023 in Italien.
Keine drei Wochen nach dem Kinostart wurde in Italien die 22-jährige Giulia Cecchettin mutmaßlich von ihrem Ex-Freund ermordet. Giulias Schwester klagte öffentlich die patriarchalen Strukturen hinter der Tat an, die Vergewaltigung und andere Gewalt gegen Frauen verharmlose. Ministerpräsidentin Giorgio Meloni versprach mehr Geld für Problemgegenden, mehr Lehrer, mehr Polizisten. Cortellesis Film befeuerte die Debatte und rückte in den Fokus.
Der Film spielt im Italien des Jahres 1946 und im Vorfeld des 2. Juni, dem Tag des Referendums über die künftige Staatsform, an dem auch Frauen erstmals wählen durften und das Land sich gegen die Monarchie und für die Republik entschied. Zum ersten Mal schnupperten Frauen den Duft der Freiheit. „Ich arbeite jetzt seit drei Jahren bei Ihnen. Ich bin sogar bei Bombenalarm gekommen“, sagt Delia im Film. „Darf ich erfahren, warum er mehr Lohn bekommt als ich?“. Die Antwort des Chefs: „Weil er ein Mann ist.“
Frauen wie Delia und ihre Mitstreiterinnen schrieben nicht Geschichte im Nachkriegs-Italien, aber sie waren, wie auch so viele Frauen in anderen Ländern, der Kern der Gemeinschaft und das Fundament des sozialen Gefüges. Es war die Zeit, in der eine Frau zwar noch die stille Dulderin war, aber auch wusste, dass sich das ändern muss. Doch das dauerte. „Viele Frauen, die 1946 erstmals vor den Urnen Schlange standen, sind in einem Italien gestorben, in dem sich gegenüber den Vorkriegsjahren letztlich nur wenig verändert hat“, schreibt der italienische Publizist Stefano Feltri. Dass sich ein Regierungschef in Italien trotz „Bunga-Bunga“ unbeschadet an der Macht hielt, spricht eine deutliche Sprache.
„Tu sei mio“ (Du bist mein) bekam Delias Tochter im postfaschistischen Italien noch von ihrem Verlobten zu hören. Heute ist die Kultur des Besitztums zwar weniger offensichtlich, weg ist sie nicht.
In Kampanien verfügte der sozialdemokratische Regionalpräsident Vincenzo De Luca, „Morgen ist auch noch ein Tag“ an allen Schulen zu zeigen. „Wir haben beschlossen, eine Sensibilisierungskampagne in Schulen zu starten, wegen der vielen Fälle von Gewalt gegen Frauen, einem Problem, das immer stärker wird. Wir möchten den wunderschönen Film von Paola Cortellesi zeigen und eine Diskussion mit Schülern und Lehrern über das Thema Gewalt gegen Frauen eröffnen“, erklärte De Luca. Laut Max-Planck-Insitut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht war fast jede dritte italienische Frau zwischen 16 und 70 in ihrem Leben bereits Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt.