Am 15. Mai 1842 brachte Sophie mit 37 Jahren – nach elf Schwangerschaften, darunter sechs Fehlgeburten und eine Totgeburt – ihr sechstes Kind zur Welt, das auf den Namen Ludwig Joseph Anton Viktor getauft wurde: „Erzherzog Ludwig Viktor, der jüngste Bruder Kaiser Franz Josephs, war mit Sicherheit einer der außergewöhnlichsten Habsburger“, erklärt uns Historikerin Katrin Unterreiner im Gespräch. Er war „intelligent, geistreich und charmant auf der einen, zynisch, intrigant und moralisierend auf der anderen Seite“, schreibt sie in ihrer 2019 erschienen Biografie „Luziwuzi. Das provokante Leben des Kaiserbruders Ludwig Viktor“. Ludwig Viktors Gebeine befinden sich – seinen Wünschen entsprechend – nicht in der Kapuzinergruft in Wien, wo die sterblichen Überreste von 150 Persönlichkeiten der Familie Habsburg ruhen, sondern in der Gemeinde Siezenheim bei Salzburg. Unterreiners Fazit: „Mit Wien hatte er gebrochen.“

Wer war dieser „Luziwuzi“, der auch den Kosenamen „Hetzi“ trug, weil mit ihm immer eine Hetz‘ war? „Er war ein hübsches, herziges Kind, was man sich nicht vorstellen kann, angesichts der Fotos, die man von ihm in späteren Jahren kennt. Er war ein kluger, begabter Mensch, aber dazu verdammt, ein bedeutungsloses Leben zu führen, weil Kaiser Franz Joseph alle seine Geschwister immer klein hielt“, erklärt Unterreiner.

Luziwuzi flüchtete sich ins Partyleben, war der Prinz Harry der Habsburger. Oberflächlich betrachtet für jeden Skandal gut, dabei war Luziwuzi laut Unterreiner „ein echter Kunstsammler und ein gescheiter Mensch“.

In seinem Palais, dem heutigen Kasino am Schwarzenbergplatz in Wien, gab er rauschende Feste, war einer der beliebtesten Habsburger – bis zu jenem Skandal: In einem öffentlichen Bad in Wien, einem frühen Wellnesstempel für alle, die es sich leisten konnten, soll er sich einem jungen Mann unsittlich genähert haben. „Jedenfalls hat er eine Ohrfeige kassiert, coram publico“, sagt Unterreiner. Das war sein Waterloo. Keiner habe etwas gegen Ludwig Viktors Homosexualität gehabt, weder Kaiser Franz Joseph, noch alle anderen bei Hofe, solange sie nur unter der Tuchent blieb. Als sie öffentlich wurde, galt als „unstandesgemäßes Verhalten“.

Die Doppelmoral hatte Hochkonjunktur: „Inoffiziell war alles erlaubt, ein offener Bruch mit den Konventionen wurde jedoch rigoros geahndet“, schildert Katrin Unterreiner.

Ludwig Viktor musste fort von Wien und wurde nach Salzburg ins Schloss Kleßheim verbannt. In dem „Bannfluch“ soll auch der laut Unterreiner „extrem nachtragende“ Franz Ferdinand gewesen sein, der es Ludwig Viktor nie verziehen hatte, dass dieser offen gegen seine Ehe mit der „nicht standesgemäßen“ Sophie Gräfin Chotek war. Der Hass Franz Ferdinands war Viktor Ludwig fortan sicher.

Auch Kaiserin Elisabeth, anfänglich eng befreundet und eine innige Freundin Ludwig Viktors bei Hofe in Wien, wandte sich später von ihm ab. „Viktor Ludwig war als Tratschen bei Hofe verschrien, vermutlich hat er ein Geheimnis, das ihm Sisi anvertraut hatte, ausgeplaudert. Aber wirklich ausgesprochen wurde das nie. Wie auch immer: Ludwig Viktor war auf einmal nicht mehr der beste Freund Sisis, sondern ihr bester Feind“, erläutert Habsburger-Expertin Unterreiner. Den Rest seines Lebens „verbrachte der Erzherzog zurückgezogen auf Schloss Kleßheim bei Salzburg. 1915 wurde er als ,geisteskrank‘ unter Kuratel gestellt und regelrecht interniert“, schreibt auch Martin Mutschlechner in „Die Welt der Habsburger“. Unterreiner fügt an, dass er, wie man heute weiß, „an Demenz erkrankt“ war und Sachwalter und Betreuer hatte, die sich nicht gut um ihn kümmerten.

Luziwuzi durfte sich am Ende nur noch in drei Zimmern seiner Residenz bewegen und erlebte die späte Rache Franz Ferdinands, ehe dieser selbst dem Attentat in Sarajevo zum Opfer fiel. In den letzten Jahren seines Lebens nahm Ludwig Viktor nicht mehr am öffentlichen Leben teil.

Die Zeitungen berichteten lediglich über seine regelmäßigen Spenden: „500 Kronen an die Salzburger Bürgerstiftung, 1000 Kronen für das Salzburger Reserve-Spital, 500 Kronen für die Familien der Soldaten aus Salzburg, die sich an der Front befanden ...“, weiß Unterreiner.

Nach dem Zerfall der Monarchie hatten alle anderen Habsburger mit dem eigenen Fortkommen zu tun, und niemand kümmerte sich mehr um Ludwig Viktor. 1919 starb er nach einer Lungenentzündung. Er hatte keine Kinder, Kaiser Karl war sein Erbe, der die Kunstsammlung so schnell es ging verkaufte, und Ludwig Viktor geriet in Vergessenheit.

In den letzten Jahren musste Luziwuzi „aufgrund seiner sexuellen Orientierung vermehrt auch als Schwulenikone mit Hang zur Travestie herhalten. Dieses Bild des Erzherzogs hat jedoch mit der historischen Realität nichts zu tun“, erläutert Expertin Katrin Unterreiner. Durch ihre Biografie zum 100. Todestag 2019 und Roswitha Juffingers Forschungs- und Ausstellungsprojekt in Schloss Kleßheim wurde das Interesse an Luziwuzi wieder geweckt.

Tom Neuwirth alias Conchita Wurst, der „Luziwuzi“ in einer Inszenierung von Ruth Brauer-Kvam nun auch im gleichnamigen Stück im Rabenhof-Theater in Wien spielt, erklärt: „Man darf nicht vergessen, dass alles unternommen wurde, damit seine Geschichte unter den Teppich gekehrt wird. Dass er seine Tagebücher am Ende verbrennen lässt, gehört da auch dazu.“