Es sind die Ohren. Mehrere Zentimeter lange Haarbüschel sind der Grund für den Spitznamen „Pinselohr“ für Luchse und ihr auffälligstes optisches Merkmal. Diese hochgerichteten Pinsel helfen wie Antennen bei der Bestimmung der Windrichtung beziehungsweise Lokalisierung von Beute und unterstützen ein ohnehin außerordentliches Hörvermögen, das das Rascheln von Mäusen im Unterholz problemlos aus über 60 Metern Entfernung orten oder eine Trillerpfeife viereinhalb Kilometer weit hören kann.
Dazu kommt eine sprichwörtlich gute Sehkraft („Augen wie ein Luchs“) sowie ein Fleckenmuster im braun-rötlichen Fell, das wie ein Supertarnanzug wirkt und ihn in der Landschaft optisch verschwinden lässt. Die großen Tatzen zeigen zudem, dass der Luchs an Regionen mit strammen Wintern adaptiert ist. Im Schnee sinkt er nicht so tief ein und hat dadurch einen Vorteil bei der Jagd.
Trotz dieser perfekten Anpassung an sein Lebensumfeld ist der Luchs vom Aussterben bedroht. Und das nicht zum ersten Mal. Luchse besiedelten einst zwar sämtliche Wald- und Steppengebiete Eurasiens. Durch rigorose direkte Verfolgung wurden sie bis 1900 aber in Österreich und beinahe ganz Westeuropa ausgerottet.
2011 begann daher im Nationalpark Kalkalpen in Oberösterreich ein Wiederansiedlungsprojekt, in dessen Rahmen fünf Luchse in der Schweiz gefangen und in Österreich ausgewildert wurden. Die Tiere vermehrten sich in den Folgejahren auch tatsächlich. 13 Jungluchse wurden nachgewiesen. Illegale Abschüsse und ein nicht immer erklärbares Verschwinden haben den Bestand aber schwer unter Druck gebracht. „Der Luchs benötigt dringend Unterstützung“, unterstreicht Herbert Wölger, Geschäftsführer des Nationalparks Gesäuse.
Aktuell beschränkt sich das einzige inneralpine Vorkommen der Raubkatzen wieder auf gerade einmal fünf Tiere: zwei Weibchen (Katzen) und drei Männchen, beim Luchs „Kuder“ genannt – von Letzteren ist zudem nur eines im besten fortpflanzungsfähigen Alter. Für eine stabile Bestandssicherung reicht das nicht. „Der genetische Flaschenhals ist zu eng“, begründet Wölger mit Verweis auf Inzucht und Unfruchtbarkeit. Den letzten Nachwuchs gab es 2018.
Passiert nichts, sterben – abgesehen von Grenzgängern aus Italien und Slowenien im Süden oder im Böhmischen Wald im Norden – die in Österreich beheimateten Luchse zum zweiten Mal aus. Denn nachhaltiger und natürlicher „Nachschub“ für Aufzuchtprojekte ist auch in den Nachbarländern derzeit nicht vorhanden. Zwar hat man sich in Oberösterreich nach langen Diskussionen unter Jägerschaft, Forst- und Landwirtschaft darauf verständigt, ein weiteres Tier aus einer Gehege-Züchtung auszulassen. „Am internationalen Markt ist aber keines erhältlich“, sagt Wölger. In der Steiermark stecken entsprechende Ambitionen im Status „Monitoring“ fest, bedauert der Nationalparkchef: „Die Zeit drängt.“
Einzelgänger
Das aktuelle Luchs-Quintett lebt indes – von Menschen nur sehr selten gesichtet – im Grenzgebiet zwischen Oberösterreich und der Steiermark, wo die Nationalparks Gesäuse und Kalkalpen ein geschütztes und ausreichend großes Habitat bieten. Denn der Luchs braucht Platz.
10.000 Hektar – immerhin die Fläche von Graz oder Villach – misst das Revier eines einzelnen Tieres. Mindestens. In Regionen, wo das Nahrungsangebot (Rehe, Gämsen) nicht so üppig ist wie in Zentralösterreich, sind es sogar bis zu 50.000 Hektar. Wobei der Luchs im Gegensatz zum Wolf kein Rudeltier ist. „Ein Kuder verträgt kein anderes Männchen und maximal zwei Weibchen neben sich“, erklärt Wölger den Einzelgängerstatus.
Was die Vermehrung zusätzlich bremst, sind Wilderer. So verschwanden 2016 im Nationalpark Kalkalpen fast alle männlichen Tiere. Die Parkverwaltung, der Naturschutzbund und der WWF setzten damals eine Belohnung von 10.000 Euro für sachdienliche Hinweise zur Ergreifung von Tätern aus. Es kam in weiterer Folge zu einer Verurteilung einer Jägerin wegen eines Luchsabschusses in Weyer wegen des Umweltdelikts der vorsätzlichen Gefährdung des Tier- und Pflanzenbestandes.
Noch bei der Staatsanwaltschaft liegt dagegen der jüngste Fall. Im Sommer letzten Jahres wurde der Kadaver einer sechsjährigen Luchsin in Kärnten gefunden. Das Tier war Opfer eines illegalen Abschusses geworden. Nach Auswertung der Geschosspartikel führte die Spur zu einer Gruppe österreichischer Jäger. „Die Ermittlungen der Polizei haben den Täterkreis mittlerweile sehr eingeschränkt“, weiß Mario Deutschmann, Verwaltungsdirektor der Kärntner Jägerschaft, die den Abschuss scharf verurteilte. Das Tier stammte aus einem Wiederansiedlungsprojekt im Raum Tarvis und war nach Kärnten eingewandert. Auch das zweite damals ausgewilderte Tier ist verschwunden. Es hatte sich über die Grenze Richtung Steiermark aufgemacht und wurde mittels Senderhalsband beobachtet – bis im Raum Murau die Batterie des Peilgeräts leer war.
Klaus Höfler